Open Data und Innere Sicherheit

Auch in der Inneren Sicherheit hält die Nutzung von Open Data Einzug. Was kann man mit diesen Daten machen mit der Analyse der Vergangenheit und der Prognose der Zukunft?

Von böhringer - Genehmigte Fotoaufnahmen am 27. Juli 2011 in Bregenz, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16055538

(Bild: Wikipedia Polizei. Von Böhringer – Genehmigte Fotoaufnahme am 27. Juli 2011 in Bregenz, CC BY-SA 3.0)

Straftaten der Vergangenheit

In Deutschland werden schon lange von Bund und Ländern statistische Daten zur bereitgestellt. Seit dem Berichtsjahr 2014 stellt das Bundeskriminalamt seine Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) nicht mehr nur als PDF-Datei dar, sondern auch als maschinenlesbare Daten in xlsx- und CSV-Format zur Verfügung. So werden Fallberichte und Zeitreihen online für jedermann veröffentlicht. Bis hinunter auf Landkreise werden Daten über Fallzahlen einzelner Straftaten sowie Aufklärungsquoten nachgewiesen sowie auch Auswertungen über die geografische Verteilung mittels Landkarten vorgenommen.

Das Beispiel unten zeigt eine interaktive Karte mit der Kriminalitätsbelastung je 100.000 Einwohner in 2015 nach Bundesländern. Je dunkler die Farbe, desto höher die Belastung. Also zum Beispiel in NRW höher als in Thüringen:

StraftatenInsgesamt2015

Die Veröffentlichung und Auswertung der Daten macht die Lage der Straftatenentwicklung transparenter, wie auch die FAZ feststellt. So konnte auch in Studien ermittelt werden, dass entgegen allgemeiner Vorurteile (wie z.B. zunächst von einer Sonderkommission der Polizei in Braunschweig vermutet worden war) mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen die Kriminalität überproportional gestiegen sei.

Dazu sagt zum Beispiel der Hannoveraner Kriminologe Pfeiffer, dass z.B. zwar von 100 Ausländern mehr Straftaten begangen werden als von 100 Deutschen. Aber: “ Das liege daran, dass die Gruppe altersmäßig anders zusammengesetzt ist. Außerdem daran, dass viele keinen Job hätten und sozial noch nicht integriert seien. Gewalt sei nicht kulturell zu bestimmen, sondern vor allem eine soziale Frage.“   Damit deutet dann das Merkmal „Ausländer“ in eine falsche Richtung, da eher schichtspezifische und soziale Gründe vorliegen. So zeigt die BKA-Statistik, dass die Straftaten von Zuwanderern zurück gehen, aber die öffentliche Wahrnehmung entspricht oft nicht der realen Statistk. Hier wäre die Untersuchung weiterer Merkmale neben der Staatsangehörigkeit wichtig.

Datenjournalisten nutzen diese Daten, um sie regional zu visualisieren. So sieht man dann recht einfach im politischen Diskurs, ob sich zum Beispiel Brandanschläge auf Flüchtlingsheime sich nur im Osten Deutschlands konzentrieren oder auch im Westen sich ausländerfeindliche Straftaten häufen.

In England gibt die Polizei Crime Maps heraus mit denen man interaktiv erforschen kann, wo welcher Art von Straftaten in welcher Anzahl begangen werden.

UK-CrimeMapAuch in New York City werden interaktive Crime Maps veröffentlicht, wie das folgende Beispiel zeigt:

NYC-CrimeMap

In Nashville, Tennessee, geht das Bureau of Investigation sogar so weit, Straftäter mit Wohnadresse, Foto und Straftat auf einer Karte zu veröffentlichen. Dies lässt sich allerdings nicht mit europäischem Datenschutz, der auch für Straftäter gilt, in Einklang bringen (blaue Balken vom Autor).

TennesseeCrimeMap2005 wurde vom US-Department of Homeland Security das SART Konsortium gegründet, das u.a. in einer interaktiven Karte alle weltweiten Terroraktivitäten nachweist.

Die statistischen Daten aus der Vergangenheit sind für Sicherheitsbehörden und Bevölkerung wichtige Hinweise auf Orte mit höherem Gefahrenpotenzial. Die Bevölkerung kann sich darauf einstellen, wenn an manchen Orten z.B. vermehrt Taschendiebstähle oder Fahrraddiebstähle auftreten. Die Sicherheitsbehörden können ihre Strategie und Präsenz an gemessenen Schwerpunkten ausrichten.

Straftaten der Zukunft: Kann man Straftaten voraussehen?

Schon 1956 schrieb der US-Autor Philip K. Dick in einer Science-Fiction-Kurzgeschichte, wie eine Welt aussehen könnte, in der Straftaten vorausgesehen werden und so verhindert werden können. Steven Spielberg schuf daraus 2002 den Spielfilm Minority Report mit Tom Cruise in der Hauptrolle. Darin hat die Polizei in Washington D.C. eine Abteilung Precrime, wo drei „Precogs“ (Agatha, Arthur und Dashiell, benannt nach berühmten Krimiautoren: Agatha Christie, Arthur Conan Doyle und Dashiell Hammett) Zukunft visionieren, die dann durch Polizeibeamte verhindert wird. Spielberg hat sich von Zukunftsforchern beraten lassen und so kann man den Film auch als Trendprognose für die „Entwicklungen in der Informationstechnik, dem Automobilbau, der Stadtplanung oder der Robotik“ deuten. Er ist durchaus sehenswert.

Doch kann man tatsächlich so weit gehen, dass man aus den Daten der Vergangenheit auch ein „Predictive Policing“ ableitet, mit dem man versucht aus historischen Daten zukünftige Ereignisse voraus zu sagen? Dazu ist neben den bisherigen Open Data noch zusätzliche Forschung notwendig sowie auch politischer Diskurs, wenn man zu den Open Data weitere Daten hinzunimmt, um zu Big Data Analysen der Polizei zu kommen wie beispielsweise Daten aus der Vorratsdatenspeicherung. Insgesamt aber ist auch in der Inneren Sicherheit durch offene Daten ein rationalerer Diskurs hin zu einer sichereren Gesellschaft zu erreichen.

Dabei kann man durchaus nach Delikten differenzieren. Werden zum Beispiel an einem Bahnhof viele Geldbörsen gestohlen, dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass man dort bestohlen wird. Unauffällig arbeitende Täter bekommen in einem Bahnhof ständig neue Opfer zugeführt. Bei Einbrüchen ist da schon schwieriger: haben Einbrecherbanden systematisch eine Siedlung „abgegrast“, dann ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass sie erneut dort einbrechen, weil sie dort erfolgreich waren. Eher im Gegenteil sollten sie bei Erfolg ja dort dann weniger Beute vorfinden und eventuell auch bessere Sicherungen gegen Einbruch. So ist es schwierig, ob die bei der Essener Polizei zum Einsatz kommende Prognosesoftware erfolgreich sein kann. Selsbt wenn man neben den Deliktdaten noch soziale Daten hinzu nimmt. Dennoch ist es richtig, wie die Sparkassen schreiben, einerseits aus den Taten zu lernen, um sich damit dann vor Einbrüchen zu schützen.

Wie mangelhafte Daten auch die Polizei in die Irre führen kann, zeigte der Silvesterabend 2016 in Köln. Nachdem in 2015 dort viele mutmaßliche Straftaten von nordafrikanischen Männern angezeigt wurden (mit sechs tatsächlichen Verurteilungen bis Anfang 2017), erwartete die Polizei, dass die mutmaßlichen Täter sich an Silvester 2016 wieder genau so verhalten würden und kontrollierte schwerpunktmäßig Männer, die nach Ansicht der Polizei nordafrikanisch aussahen. Dabei zeigte sich die Extrapolation der 2015er Ereignisse als sehr fehlerhaft. Von den 2.500 Silvester 2016 angeblich nordafrikanisch aussehenden Männern, die kontrolliert wurden wegen ihres Aussehens, wurde bei 674 Personen die Identität festgestellt, bei denen sich die Nationalitäten wie folgt verteilten:

  • 99 Iraker
  • 94 Syrer
  • 48 Afghanen
  • 46 Deutsche
  • 17 Marokkaner
  • 13 Algerier.

Von den 2.500 für die Polizei nordafrikanisch aussehenden Männern waren also tatsächlich offenbar 30 Nordafrikaner, also eine Trefferquote von 1,2% bei der Zuordnung der Nationalität nach Aussehen bei der Kölner Polizei. Mit solch einer Trefferquote kann man keine Zukunftsprognose erstellen.

Kanzleramtsminister Altmaier forderte daher schon auf dem europäischen Polizeikongress 2016 in Berlin eine Abkehr von der Datensparsamkeit, um mit der Hinwendung zu Big Data zu besseren Prognosen zu kommen. So arbeiten in Deutschland mehrere Landesbehörden an jeweils eigenen Konzepten zum Predictive Policing, wobei die Anwendungen eine enormen Datenhunger entwickeln.

Die hatte auch der ehemalige Präsident des BKA Horst Herold in den 1970 Jahren bei der Fahndung nach Terroristen erfahren. Wenn man nur die Reisedaten Hotels, Mietautos, usw.) von a) den mutmaßlichen Terroristen (ca. 1.200),  b) deren Sympathisanten (ca. 60.000)  und c) deren Kontakt erfasste, hatte man ein Drittel der Bevölkerung im Rechner. Herolds Ehrgeiz war es, bei Serientätern spätestens bei der dritten Tat sollte de Polizei vor dem Täter am Tatort sein.
Herold widmete sich mit großer Anstrengung der Bekämpfung des Terrors mit Computern, aber er vernachlässigte die normalen Meldewege zu organisieren. So wurde bei einer Polizeifahndung die Meldung eine Hausmeisters eines Kölner Hochhauses (siehe Spiegel: Erftstadt-Lieblar, Zum Renngraben 8), der richtig Hans-Martin Schleyer dort vermutete, die Meldung im Behördengang nicht ins BKA. Die Terroristen konnten trotz des Hinweises mit der Geisel Schleyer ins Ausland flüchten, wo sie Schleyer ermordeten.

Nützlichkeit oder Information Overload?

Schon lange wird von der Polizei Software benutzt, um soziale Netzwerke zu analysieren, z.B. mit gespeicherten Vorratsdaten („Wer ruft wen an?“), um daraus auf Tätergruppen zu schließen. Mit der Analyse von sozialen Netzwerken, lässt sich dies Art Anaylse noch beschleunigen, auch im Bandenstrukturen aufzudecken. Auf der anderen Seite hat die Polizei in Oakland wegen der schlechten Erfahrungen ihre Predictive Policing Software wieder abgeschafft.

Bei dem Mörder Anis Amri, der im Dezember 2016 auf einem Berliner Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz mit einem LKW 12 Menschen ermordete, zeigt sich in der vom Bundesministerium der Justiz veröffentlichen 19-seitigen „Chronologie zum Behördenhandeln„, dass die Sicherheitsbehörden noch erhebliche Probleme mit der Verarbeitung von IST-Daten haben, die eine Prognose erheblich erschweren. Beispiele:

  • Amris konnte sich unter 14 Identitäten in Deutschland anmelden, um Sozialleistungen rechtswidrig abzugreifen, obwohl mit Einführung des neuen Personalausweises auch elektronische Aufenthaltstitel für Nicht-EU-Ausländer eingeführt wurden, die elektronisch verarbeitbar sind und auch biometrische Daten beinhalten können wie Fingerabdrücke.
  • Ausschreibung der Einreiseverweigerung im SIS-System nach dem Schengener Abkommen durch Italien
  • Anweisung einer TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) durch den Generalbundesanwalt
  • Enge V-Mann Kontakte des NRW Verfassungsschutzes zu Amri
  • Fahndungsausschreibung durch Bundespolizei
  • Freilassung aus der Haft in Augsburg auf Wunsch von Behörden in NRW
  • Behandlung des Falles in GTAZ durch BKA, BND, BfV, GBA, BPOL, BAMF, GBA, LKA/LfV BE und NW
  • Versuchter Beschleunigung des Asylverfahrens durch das BAMF, aber keine Übermittlung daktyloskopischer Daten (Fingerabdruck).

Die Beschreibung erweckt den Eindruck, dass die Verarbeitung von personenbezogenen Daten von mutmaßlichen Straftätern bei deutschen Sicherheitsbehörden noch ganz am Anfang in den Kinderschuhen steckt. Schon aus diesem Grunde ist eher Vorsicht angezeigt, wenn man versucht Taten voraus zu sagen, wenn man schon datentechnisch Schwierigkeiten mit der Vergangenheit hat.

Fazit


Die Veröffentlichung von Daten aus der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS), auch in maschinenlesbarer Form ist sehr nützlich. Sie hilft politisch Diskurse zu rationalisieren und unangemessene Vorurteile abzubauen, die sonst in die Irre führen. Auch kann man aus den Daten Vorsorgemaßnahmen ableiten, z.B. beim Schutz vor Einbruch oder dem Diebstahl in Massenansammlungen.

Bei der Prognose der Zukunft aus Daten der Vergangenheit ist noch weitere Forschung notwendig. Auch deren Ergebnisse sollten offen diskutiert werden, ob sie tatsächlich Nutzen bringen.

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