Reifegrade im Projektmanagement mit PRINCE2

St. Lamberti, Münster/Westf.

In immer mehr Organisationen wird statt „Business as Usual“ durchzuführen die Organisation durch Projekte geändert. In vielen Projekten und eigenen Studien habe ich gesehen, dass formalisierte und etablierte Projektmanagementmethoden eingesetzt werden. Die Einsatztiefe war aber durchaus unterschiedlich. Sind also die Organisationen bei Projekten auch so reif wie in der Linie? Mit Hilfe von Reifegradmodellen kann dieser Frage nachgegangen werden.

Inhalt

Was will man mit dem Einsatz von Reifegradmodellen erreichen? | CMMI® Capability Maturity Model Integration | Reifegradmodelle im PRINCE2®-Umfeld | Die 7 Perspektiven | Die 5 Levels | Ein Beispiel des Reifegrades | Wie nutzt man P2MM? | P2MM Assessment: extern oder selbst? | Wer nutzt PRINCE2-Reifegradmodelle P2MM/P3M3? | Weiterführende und genutzte Quellen

Was will man mit dem Einsatz von Reifegradmodellen erreichen?

In vielen Organisationen hat man ein Projektmanagement etabliert:  eine Methode wird als Standard ausgewählt (PMI, GPM/IPMA, DIN 69901 oder PRINCE2), mit einem Projektmanagement-Handbuch wird eine Richtlinie erstellt, Mitarbeiter werden zu Schulungen geschickt, ein Werkzeug/Tool wird eingesetzt, vielleicht auch ein Projekt-Management-Office (PMO) zur Unterstützung errichtet. Nach einigen Projekten ist man dann aber nicht zufrieden, weil sich nicht alle an die Standards halten, Projekte unterschiedlich gemanagt, Werkzeuge nicht konsistent genutzt werden usw. Hier setzt dann die Arbeit mit Reifegradmodellen an zur Verbesserung der Situation.

Grundsätzlich will man beim Einsatz von Reifegraden zunächst den aktuellen Zustand einer Organisation messen, um dann zu einem besseren Zustand hinzukommen, den man dann wiederum misst.  Ziel ist es immer, Projekte effektiver und effizienter zu bearbeiten.

Die Schlüsselfragen dabei sind:

  • Wie kann man den Reifegrad einer Organisation messen, wie sie Projekte, Programme, Portfolien managt?
  • Welcher Reifegrad ist für unsere Organisation notwendig, um erfolgreich zu sein?
  • Welche Verbesserungen liefern das beste Ergebnis für das Geld?

Wie helfen dann die Antworten auf die Fragen?

  • Die Einbettung und Verankerung des systematischen Projektmanagements kann gemessen werden,
  • eine Verbesserung über die Zeit kann herbeigeführt werden,
  • das Potenzial für die Verbesserung der organisatorischen Fähigkeiten, der individuellen Fertigkeiten und der Portfolio-Komplexität kann gehoben werden.

CMMI® Capability Maturity Model Integration

Die Mutter vieler Reifegradmodelle (Maturity Models) ist das Capability Maturity Model Integration, kurz CMMI®. Es handelt sich dabei um eine Referenzmodellfamilie für unterschiedliche Anwendungen. Dabei geht es darum, die Arbeit einer Organisation zu verbessern. Derzeit gibt es drei veröffentlichte Modelle:

  • Das „CMMI for Development“ (CMMI-DEV) für Organisationen, die Software, Systeme oder Hardware entwickeln.
  • Das „CMMI for Acquisition“ (CMMI-ACQ) für Organisationen, die Software, Systeme oder Hardware einkaufen, aber nicht selbst entwickeln.
  • Das „CMMI for Services“ (CMMI-SVC) für  Organisationen, die Dienstleistungen erbringen.

CMMI wurde 1986 auf Initiative des US-Verteidigungsministeriums am Software Engineering Institute (SEI) der Carnegie Mallon University entwickelt, wo es heute noch gepflegt wird. CMMI kennt 22 Prozessgeeite, 4 Fähigkeitsgrade (capability levels) und 5 Reifegrade (maturity levels). Die Anwendung von CMMI ist komplex.

Anregungen zur systematischen Projektarbeit kommen häufig aus der Softwareentwicklung. So kommen z.B. das Wasserfallmodell und das V-Modell auch aus der Softwareentwicklung. Dabei haben sich diese Methoden bisweilen als zu starr heraus gestellt, so dass man vermehrt auf agilere Methoden wie zum Beispiel auch Scrum setzt. Klassische Projektmanagementmethoden und agile schließen sich aber nicht gegenseitig aus, wie ich in dem Vortrag PRINCE2® und agile Methoden in Kombination – ein Erfolgsmodell für die Praxis? gezeigt habe.

Neben den Reifegradmodellen in der Projektarbeit gibt es sie auch für Prozesse.  So gibt es in Deutschland unter  www.bpm-maturitymodel.com das Reifegradmodell EDEN für Prozessmanagement mit sechs Reifegradstufen und neun Dimensionen (Strategie, Ziele, Organisation, Methoden, Dokumentation, IT, Kompetenzen, Messen und Kommunikation). Zum Beispiel wendet die Hamburg Port Authority EDEN an.

Bei einer Sache muss man allerdings aufpassen: bei Informatikern stehen technische Systeme im Vordergrund, die man mit relativ wenig Aufwand recht komplex gestalten kann, um dann zu sehen, ob sie funktionieren oder nicht. Bei sozialen Systemen im Projektmanagement muss man dagegen aufpassen, dass sie nicht zu kompliziert werden, um für Menschen noch einfach nutzbar zu sein.

Die britische Regierung hat dazu mit PRINCE2® recht pragmatische Ansätze gefunden (wie bei ITIL® auch). PRINCE2 ist mittlerweile in ein umfassendes Ökosystem eingebettet:
– PRINCE2® (Projects IN Controlled Environments)
– MSP® (Managing successfull programmes)
– P3O® (Portfolio, Programme and Project Offices)
– P2MM® (PRINCE2 Maturity Model)
– P3M3® (Portfolio, Programme and Project Management Maturity Model)

PMI (Project Management Institute) hat dazu das Organizational Project Management Maturity Model (OPM3®) entwickelt. Im Folgenden soll nun am Beispiel des PRINCE2 Maturity Models (P2MM) die Wirkungsweise von Reifegradmodellen diskutiert werden.

Reifegradmodelle im PRINCE2®-Umfeld

Im PRINCE2-Umfeld haben sich zwei Modelle entwickelt, die sich nicht wesentlich unterscheiden:

Während das erste für Projektmanagement entwickelt wurde, ist im zweiten auch für Programm- und Portfoliomanagement detailliert Vorsorge getragen. Um das Vorgehen zu verdeutlichen, wird P2MM nun beschrieben.

P2MM fokussiert auf sieben Prozessperspektiven, die in fünf Reifegraden (Levels) bewertet werden können.

Die 7 Perspektiven

Perspektive Beispielskriterien
Management Steuerung Lifecycle, Phasen, Gateways, Steuermittel, Vision, Blueprint, Outcomes, Business Strategie, Problemmanagement, Konfigurationsmanagement, Change Control, Fortschrittsberichte, Definition und Design.
Nutzen Management Anforderungen, Definition, Tracking, Ownership, Plan, Änderung
Finanzmanagement Kosten, Business Case, Genehmigungen, Tracking
Stakeholderbeteiligung Kommunikation, Beratung und Beteiligung in Anforderungen,
Risiko Management Typen, Eintrittswahrscheinlichkeit, Ausmaß, Nähe, Chancen und Bedrohungen
Organisationale Governance Leadership, Leitung, Berichtslinien, Projektsicherung, Compliance
Ressourcen Management Kapazitäten, Typen, Beschaffung, Lieferanten, Skills und Erfahrung, Steuerung, Allokation, Deployment

Die 5 Levels

Anhand von Beispielskriterien lässt sich erkennen, wie die Reife von Level zu Level steigt:

Level 1 – Erkennbarkeit
Undokumentiert, Basisvokabular (nicht notwendigerweise angepasst oder Konsistent), keine Richtlinien oder Supportdokumente. Jedes System ist ad-hoc und ungesteuert
Level 2 – Wiederholbar 

Lokal entwickelt, anerkannter Ansatz, Templates, ad-hoc Training, Inseln von Expertise, Initiativen voneinander isoliert, minimale Anzeichen kontinuierlicher Verbesserung, einfache Aktivitätenpläne, Fokus mag auf Start und initialer Dokumentation sein, Heldenkultur, schwache Zusammenarbeit.

Level 3 – Definiert
Organisationsweite Konsistenz, Prozesseigentümer, Standards angewendet (z.B. Rollen und Verantwortlichkeiten), Prozesse mit Input und Output definiert, zentrale Steuerungsgruppe, konsistente Nutzung von Tools, Richtlinien, System Framework, Governance klar definiert, kompetentes Team, Fachkräfte, System Konfiguration, gute Kommunikation und Zusammenarbeit, Anknüpfung an strategische Planung.
Level 4 – Gemanagt
Integration in Unternehmensgovernance und -funktionen, akkurate Informationen, statistische Analyse, kompetentes und qualifiziertes Team, (Projekt-)Sicherung in Arbeit, Business Kapazitätsmanagement, Ownership auf Leitungsebene, Mentoren, Prozessmanagement, Alignment an strategische Planung, Ansätze geprüft, konsistentes Verhalten, quantitativer Managementansatz, Zusammenarbeit, adaptierend.
Level 5 – Optimiert
Start; Ende, Weg, Prozessoptimierung, Business Process Ownership, integriert in strategische Ausrichtung, Erfahrungen (Lessons learned) werden angewendet, kontinuierliche Verbesserung, gemeinnützig für die Organisation, bruchlos und automatisch, anhaltend, wertbasiertes Verhalten, evidenzbasiertes Management, Innovation

Ein Reifegradbeispiel

Bewertet man nun seine Organisation in sieben Perspektiven, so kann das zum Beispiel folgendes Bild ergeben:

Reifegradbeispiel

Man sieht, dass diese Organisation in den unterschiedlichen Perspektiven unterschiedlich bewertet wurden. Das Ressourcenmanagement ist wesentlich reifer als das Nutzenmanagement oder die Stakeholderbeteiligung. Man sieht auch, dass keine Kategorie Spitzenwerte erreicht hat, aber auch keine ein Totalausfall ist.

Daraus kann man nun einen Mittelwert berechnen, der sich in diesem Beispiel zu einem Gesamtreifegrad von 3 ergibt: (2*2+3*3+2*4) / 7 = 3. Damit hat man dann einen aggregierten Wert, mit dem sich einfach die Entwicklung über die Zeit veranschaulichen lässt:

Langzeitverbesserung

Wie nutzt man P2MM?

P2MM kann auf verschieden Art und Weise genutzt werden, z.B.:

  • um die Schlüsselpraktiken für effektives Projektmanagement mit PRINCE2 zu verstehen
  • um die Schlüsselpraktiken zu identifizieren, die in die Organisation verankert (embedded)  sein müssen um das nächste Level der Reife zu erreichen
  • um die Fähigkeit, Projekte effektiver mit PRINCE2 zu managen, zu verstehen und zu verbessern
  • von Kundenunternehmen, um die Risiken zu bewerten, die von Problemen resultieren, die ihre
    Lieferanten mit der Prozessfähigkeit haben, die ihre Projekte managen.

Was gibt es für Fehler-Gründe, die zu geringerem Reifegrad führen?

  • Design- und Definitions-Fehler
    Scope des Changes und erforderlicher Outcome und/oder Outputs nicht klar definiert 

    • Entscheidungsfehler
      inadäquate Level der Sponsorship oder Commitment zum Change, d.h. keine verantwortliche
      Person kann Issues lösen
    • Disziplinfehler
      z.B. schwache (oder keine) Arrangements für Risikomanagement und Unfähigkeit Changes in
      Projektanforderungen zu managen
    • Lieferantenmanagementfehler
      z.B. Unvermögen, die kommerziellen Notwendigkeiten des Lieferanten zu verstehen, schwaches
      Management und unangemessene vertragliche Aufstellung
    • Fehler von Personen
      z.B. fehlende Verbindung zwischen Programm/Projekt und Stakeholdern, mangelnde Ownership,
      kulturelle Fragen

P2MM Assessment: extern oder selbst?

Organisationen können für ihre Reife ein P2MM Assessment durchführen. Entweder durch einen formalen Review durch Externe oder durch ein Selbst-Assessment. Das Selbst-Assessment kann einfach mit Hilfe des Modells und anwenden der jeweiligen Kriterien geschehen. Sowohl für das Fremd-Assessment als auch das Selbst-Assessment liegen ausführliche Kriterienkataloge öffentlich und kostenlos vor.

Das externe Assessment kann man in großen Organisationen verwenden, in denen eine Fülle von Daten auszuwerten sind. Wenn man erwartet, dass da Ergebnis schlecht sein wird, dann kann es hilfreich sein, dass eine externe Instanz dieses verkündet, um die dann möglicherweise internen Konflikte nicht auch noch zu vergrößern.

Charmant ist aber auch, das Assessment selbst durchzuführen im Sinne einer Lernenden Organisation nach Peter Senge oder nach Niklas Luhmann als soziales System, das nur nicht selbst steuern kann und von außen nur irritierbar ist, aber nicht steuerbar.

Wer nutzt PRINCE2-Reifegradmodelle P2MM/P3M3?

Zum Schluss noch ein paar Beispiele, wer PRINCE2-Reifemodelle erfolgreich nutzt:

Die Erfahrung zeigt, dass mit Nutzung von Reifegradmodellen Effektivität und Effizienz im Projektmanagement gesteigert werden können. Projekte laufen dann smarter und erfolgreicher, wenn man sich konsequent die Erfolgsfaktoren bewusst macht und sein Handeln danach ausrichtet.

Weiterführende und genutzte Quellen

PRINCE2 Maturity Model (P2MM) (pdf – 789 KB) (Bilder Reifegradbeispiel und Langzeitverbesserung)
PRINCE2 Maturity Model (P2MM) Self-Assessment (pdf – 513 KB)
P3M3 Introduction and Guide (pdf – 985 KB)
P3M3 Portfolio Model (pdf – 995 KB)
P3M3 Programme Model (pdf – 995 KB)
P3M3 Project Model (pdf – 997 KB)
P3M3 Portfolio Management Self-Assessment (pdf – 954 KB)
P3M3 Programme Management Self-Assessment (pdf – 1,147 KB)
P3M3 Project Management Self-Assessment (pdf – 1,146 KB)
Portfolio Programme and Project Management Maturity Model (P3M3) Alan Harpham, APMG
PRINCE2 und agile Methoden in Kombination – ein Erfolgsmodell für die Praxis? Wolfgang Ksoll, September 2013.
PRINCE2 and governance. Andy Murray, White Paper November 2011

See also: http://wk-blog.wolfgang-ksoll.de/projektmanagement/

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