„I have a dream“ sagte Martin Luther King in seiner berühmten Rede vor dem Lincoln Memorial in Washington, D.C., am 28.8.1963 vor mehr als 250.000 Zuhörern. Sein Traum wurde wahr: die USA haben mit Barack Obama ihren ersten schwarzen Präsidenten bekommen. Wir haben auch unsere Träume und Mythen: die Wacht am Rhein, die Loreley und das Rheingold. Doch mutet uns das „Lieb Vaterland magst ruhig sein“ gar wunderlich an, denken wir an das E-Government, auch wenn wir nicht mehr wie Heinrich Heine 1844 deswegen um den Schlaf gebracht werden. Aber es scheint so, dass der Staat sich in die Trutzburg zurückgezogen hat, während die Bevölkerung bei Facebook, Google+, Twitter usw. das Private in die Welt schleudert. Wieso werden unsere germanischen Träume nicht wahr (wenigstens die, die die Funktion des Staates betreffen), während es die Amerikaner geschafft haben? Dass soll hier diskutiert werden.
Der Weg in die Trutzburg
„Nie sollst du mich befragen,
noch Wissens Sorge tragen,
woher ich kam der Fahrt,
noch wie mein Nam‘ und Art.“
Lohengrin, Erster Aufzug, Dritte Szene, Richard Wagner
Um den Germanen besser zu verstehen, muss man einen kleinen Blick in die Geschichte werfen. Vor 2000 Jahren brachten die Römer Kultur an die linke Rheinseite Germaniens: große Städte wie Köln, fließendes Wasser, Schrift auf Papier statt in Stein gemeißelter Runen, Römisches Recht statt barbarischem Faustrecht. Rechts des Rheins hockten die Germanen in den Wäldern und feierten es als nationale Befreiung, dass Hermann der Cherusker ihnen die Römer und damit die Zivilisation im Jahre 9. nach Chr. im Teutoburger Wald vom Hals schuf. Es dauerte nur wenige hunderte Jahre, dass die Germanen und andere nordische Sippschaften dann doch sonnen hungrig Sehnsucht nach Bella Italia bekamen, wo es Kultur und mehr zu essen gab. Die Völkerwanderung gab dem Imperium Romanum den Todesstoß und man eröffnete das dunkle Mittelalter, in dem die Christen sich, aus dem Morgenland kommend, entfalten konnten, ihn Rom den Platz einnahmen und das Christentum auch in die germanischen Wälder trug.
Ab dem Jahre 1000 etwa wurde auch nördlich der Alpen das Wetter besser (Erderwärmung und Ende der Eiszeit) und die Ernteerträge stiegen. Wälder wurde gerodet und urbar gemacht, Kinder gezeugt und von allem gab es Überschuss, den man der Kirch spenden konnte. Diese baute prachtvolle gotische Kathedralen mit großen Fenstern, um mit viel Licht große Erleuchtung zu bekommen und dem himmlischen Jerusalem näher zu kommen (statt dunkler romanischer Hucken).
Die Kathedralen wurden Versammlungsgebäude, die den Stadtkern bildeten. Rathäuser gab es noch nicht. Banker dort ihre Geschäfte (wie schon Jesus vom Tempel berichtet). Handwerkerzünfte bildeten sich. Der Handel blühte auf. Das Leben pulsierte.
Nur der Adel als Machthaber tat sich schwer. Er ließ sich in Kreuzzügen verheizen, die weder Beute noch Sieg brachten (hört sich an wie Bundeswehr in Afghanistan: nach 10 Jahren, 6,5 Mrd. € Kosten weder Sieg noch Beute, nur über 20.000 Tote). Auf dem Weg zum Absolutismus (der dann im Faschismus finalisierte) , mit dem der Adel dann fiel, verkroch man sich in der Trutzburg in einer Parallelgesellschaft höfischen Gepränges. Und dort erzählte man sich Geschichten von den Nibelungen, von Siegfried aus Xanten (linksrheinisch) und Wotan, von Alarich und Riesen (die hierarchisch über den Göttern standen: Riesen-Götter-Menschen ist die Hackordnung seit Eddas Zeiten), von dem Gralsritter Lohengrin, von stolzen Männern, die auf Schwänen daher gefahren kamen, um fromme Frauen zu freien, wenn sie nicht zu viele Fragen stellten .
Wotan hatte die Riesen mit immobilienwirtschaftlichen Aufgaben betraut: sie bauten ihm Walhalla und sollten dann mit dem Ring der Nibelungen aus dem Rheingold bezahlt werden. Alarich versteckte dann aber den Schatz und am Rhein hielt sich bis in unsere Tage das Gerücht, dass irgendwo im Rhein das Rheingold zu finden sei.
Zarter Frühling Internet
„Als der Nebel in zarten Wolken sich gänzlich in der Höhe verliert,
wird im Tagesgrauen eine freie Gegend auf Bergeshöhen sichtbar.“
Das Rheingold, Vorspiel, Richard Wagner
Diese germanischen Mythen werden auch heute noch tradiert. So fröhnt man in Regensburg dem Walhalla-Kult. Regelmäßig pilgern die Germanen nach Bayreuth zu Wagners Festspielen. Unsere geliebte Kanzlerin holt sich dort regelmäßig Inspiration und Transpiration nach dem biblischen Gebot:
„Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen“ (Genesis 3,19).
So wurde auch bei den ersten Gehversuchen der Germanen im Internet an alte Kulte angeknüpft: WOTAN hieß das Projekt, dass die TU Berlin von einem Mainframe-Shop zu einer verteilten Landschaft machte. „Workstations der Technischen Universität am Netz“ hieß es Ende der 1980er Jahre. In einer Fußnote (Kommunikationshandbuch – TCP/IP, Stand 17.1.1992) erinnerte ich selbst damals die eher technisch ausgerichteten Kommilitonen, dass Wotan ein germanischer Gott war:
„Wotan (alias Odin), germanischer Gott, wohnt mit Frigg (alias Fricka), der Göttin des heimischen Herdes, Thor (alias Donar), dem Gott des Gewitters, und Thyr, dem Rechts- und Kriegsgott, in Walhall. Ihm dienen die Walküren und die Einherier.“
Die US-Amerikaner waren frei von solchem kulturellen Ballast. Zu der Zeit als die germanischen Machthaber in ihren Trutzburgen hockten und schmollten ob der Sieglosigkeit im Heiligen Land und dem abgehängt werden im Inland, besiedelten nur Büffel und Indianer die nordamerikanischer Prärie. So konnten Clinton und Gore Anfang der 1990er Jahre unbefangen das Internet für den Wahlkampf nutzen (den sie gewannen) und Visionen entwickeln vom Information Superhighway, den die Germanen als Datenautobahn übersetzten und den Historiker Helmut Kohl in der Gnade der späten Geburt an die Autobahnen des Verkehrsministeriums erinnerte.
Ich war damals Mitte der 1990er Jahre maßlos begeistert, dass man seine Steuererklärung in den USA für die Bundes- und Landessteuern online abgehen konnte. Da gab man einfach online auf zwei (gefühlten) DINA4-Seiten ein, was Fakt ist, schickte das ab und gut war. Das war zum einen möglich, weil die Amerikaner im Telefonnetz eine Flatrate hatten, bei der man beliebig lange auf den Bildschirm starren konnte (während bei uns damals die Telekom für den Ortsverkehr Zeittakte einführte, um beim Börsengang attraktiv zu sein). Zum anderen ist das Steuerrecht in USA so simpel, dass das schnell abgehandelt ist (Während wir den Weltrekord an Steuervorschriften halten). Und drittens haben die Amis keinen technischen Schnickschnack zur Pseudosicherheit eingeführt, sondern haben klaren Ansagen: If you make shit, then you fly out. Das heißt hier, dass beim Steuerbetrug harte Strafen tatsächlich verhängt werden (während bei uns Steuerkriminelle milde behandelt werden, aber die rechtschaffene Allgemeinheit mit Misstrauen überzogen wird).
Dennoch war schon Anfang der 2000er Jahre das folgende Szenario auch in Deutschland im Internet im Verkehr mit der Wirtschaft realisierbar, wie ich es 2005 in einem Vortrag mit realen Daten darstellte:
Meine These war damals, dass wir in der Wirtschaft Leistungen über das Internet initiieren könne, bei denen die Gesamtkosten aus Leistung und Administration geringer seien als die öffentliche Hand nur an Prozesskosten für die Administration aufwenden würde, ohne noch eine Leistung zu erbringen. Das war böse, aber real.
Rechtliche Rahmenbedingungen
„Auf, aus der Träume wonnigem Trug!
Erwache Mann, und erwäge!“
Fricka, Gattin von Wotan, Zweite Szene, „Das Rheingold“, Richard Wagner
In der Wirtschaft brach eine stürmische New Economy los: alles drängten ins Internet. Nur der deutsche Staat und seine Juristen reagierten verhalten. 1997 schuf man ein Signaturgesetz, um elektronische Dokumente so ähnlich wie schriftliche Dokumente behandeln zu können. Das hatte überhaupt keine Relevanz, da es weder Anwendungen gab, noch Anwendungsgesetze. Das änderte sich nach dem Wahlsieg von Rot-Grün, als insbesondere Brigitte Zypries, SPD, die Entwicklung vorantrieb. In schneller Folge wurde das Zivilrecht und das Öffentliche Recht angepasst, dass man tatsächlich auch die elektronische Form verwenden durfte. Damals malte ich jenes wunderschöne Bild:
Im Zivilrecht bekam der §126a BGB einen Schlüsselfunktion:
§ 126a Elektronische Form
(1) Soll die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden, so muss der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen.
Damit war bei Schriftformerfordernis die elektronische Form erlaubt. Mit Qualsignatur. Diese Rechtsänderung hatte noch einen Webfehler: wenn Schriftformerfordernis gesetzlich verlangt war, konnte ein Sender ein beliebiges Produkt nehmen, das zugelassen war, und eine signierte Datei (Word, PDF,…) oder eine signierte E-Mail dem Empfänger schicken ohne Rücksicht darauf, ob der der Empfänger das Format verarbeiten konnte. Die Nutzung des §126a fand so gut wie keinerlei Verbreitung.
Bei der Reform des öffentlichen Rechtes (VwVfG, AO, SGB) lernte man aus seinen Fehlern: im §3a Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) legte man fest:
§ 3a Elektronische Kommunikation
(1) Die Übermittlung elektronischer Dokumente ist zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet.
…
(3) Ist ein der Behörde übermitteltes elektronisches Dokument für sie zur Bearbeitung nicht geeignet, teilt sie dies dem Absender unter Angabe der für sie geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mit. Macht ein Empfänger geltend, er könne das von der Behörde übermittelte elektronische Dokument nicht bearbeiten, hat sie es ihm erneut in einem geeigneten elektronischen Format oder als Schriftstück zu übermitteln.
Das war die Rettung der Behörden. Von da an prangte in vielen Disclaimern im Impressum von Webauftritten deutscher Behörden die Nachricht, dass man just diesen Zugang nicht eröffnet habe, und man sich wie früher mündlich oder schriftlich an die Behörde wenden solle, wie es linksrheinisch seit römischer Besatzung und rechts-rheinisch seit Luther und Gutenberg (der mit dem Buchdruck, nicht der mit den Plagiaten) die Landessitte war.
Das war der Beginn des E-Governments in der Trutzburg.
Damals redete man sich trunken mit den neuen Möglichkeiten. Ich mit. Man überlegte, an welche IT-Systeme man die Qualsignatur anschließen könnte:
Besonders süß fand ich den Pilotversuch, wie man mit Qualsignatur die Urlaubsverwaltung unterstützen könnte. Also wie man rechtlich einwandfrei verwalten könne, dass man garantiert nicht arbeiten kommen wollte. Also eigenhändige Unterschrift des Urlaubssuchenden, Genehmigung des Vorgesetzten, Archivierung für die kommenden Jahrtausende. Es ging nicht mit vertretbarem Aufwand. Man war geneigt zu sagen: Quod erat demonstrandum („was zu beweisen war“ für die Griechen unter den Lesern).
EU-Signaturrichtlinie
Die Rheintöchter (zusammen das Riff anmutig umschwimmend)
Heiajaheia! Heiajaheia!
Wallalalalala leiajahei!
Das Rheingold, Vorspiel, Richard Wagner
Irgendwann ist uns dann die EU darauf gekommen, dass unsere Signaturideen recht hart sind und man rang um einen Kompromiss, um die europäischen Interessen auszugleichen. Man fand den schönsten Kompromiss, den ich kennengelernt habe: man ließ das Problem wie es war und verzichtete auf Vereinheitlichung und europäische Integration. Die Deutschen durften sich weiter in ihrer Trutzburg einbunkern und ihre Verfolgungsängste pflegen, während es andere wie gewohnt pragmatisch angingen.
Seitdem sagt die EU, jeder Mitgliedsstaat kann sich eine der folgenden Arten aussuchen, mit denen er dann garantiert nicht kompatibel zum Nachbarn ist (in der Mathematik gab es dass auch als Vierfarbenproblem: man nimmt für jedes Land eine andere Farbe, so dass keine zwei Nachbargebiete mit gleicher Farbe aneinander stoßen). Also es gibt nun:
- Die einfache Signatur
Da macht man fast gar nichts. Man schreibt einfach in dem normalen Zeichensatz (z.B. ASCII) seinen Namen unter einen elektronischen Text und entfaltet Rechtskraft bei der Versendung per normaler Mail. Das machen die Engländer gerne und haben das Kraft ihres Richterrechtes auch in der Rechtsordnung verankert. Siehe z.B. Court rules that an email address is not a signature, wo es u.a. heißt:
„Digital signatures, scanned manuscript signatures, typing one’s name (or initials), and clicking on a website button are, in our view, all methods of signature which are generally capable of satisfying a statutory signature requirement“
- Die fortgeschrittene Signatur
Die macht man mit Software, einem X.509-Zertifikat und mit Standards wie S/MIME (siehe unten). Die fortgeschrittene Signatur nimmt man gerne bei S/MIME, wenn man auch gerne verschlüsseln möchte, z.B. aus Datenschutzgründen. - Die qualifizierte Signatur
Die macht man wie die fortgeschrittene Signatur, aber das Zertifikat und das geheime Passwort residieren auf einer besonders gesicherten Chipkarte. Man braucht zusätzlich zur Software ein Lesegerät, das für deutsche Qualsignaturen meist nur für Windows verfügbar sind.
Man kann das Spielchen noch weiter steigern mit akkreditierter Qualsignatur, aber es lohnt nicht sich darüber zu verbreiten, weil kaum jemand kennt und kaum jemand nutzt. Aber die EU hat sich aus Feigheit vor den Deutschen davor gedrückt, europaweite Standards durchzusetzen. Statt dessen wurde Europa aktiv desintegriert und die Bürger verhöhnt.
Technische Standards – die Hexenküche
„Vollendet das ewige Werk: auf Berges Gipfel, die Götterburg,
prächtig prahlt der prangende Bau!“
Wotan, Zweite Szene, „Das Rheingold“, Richard Wagner
Aber die technische Umsetzung in Deutschland war die Sternstunde der IT-Sicherheitstechniker im Rheinland. Sowohl die ehemalige Abteilung 6 des Bundesnachrichtendienstes (BND), das heutige Bundesamt für die Sicherheit (BSI) in der Informationstechnik, als auch die staatliche Forschung der Fraunhofergesellschaft sowie Post und Telekom (die beide damals Trustcenter für je 10 Mio. DM bauten) bündelten sich in der alten Bundeshauptstadt Bonn und um Bonn herum.
War man noch mit Urkunden in der Tradition des Römischen Rechtes pragmatisch umgegangen (hat ein Stück Papier ein Datum, einen Ort, eine eigenhändige Unterschrift, so gilt es vor Gericht als Urkunde mit Beweiskraft, auch wenn man nur durch graphologische Spekulation vermuten konnte, wer die Unterschrift geleistet hatte, ohne es vielfach beweisen zu können).
Den rheinischen Sicherheitstechnikern gelang es aber, die Politik glauben zu lassen, dass man mit moderner Technik viel besser als mit Papier Beweiskraft erlangen könnte und versprachen wie Alchemisten das Rheingold. Für Verschwörungstheoretiker sei der Hinweis erlaubt, dass die Loreley nur 123 km von St. Augustin entfernt ist:
Und wir erinnern uns, was die Loreley gemacht hat? Sie hat am Berg herumgelungert, um Kapitäne der christlichen Rheinschifffahrt zu betören, dass sie des Weges abkamen. Zwar hatten wir schon bei Homer aus Kilikien (das ist in der Türkei) in der Odyssee gehört, wie man mit solchen Sirenen umgeht: man bindet sich mit Seilen fest an den Mast des Schiffes.
Aber in Berlin fand Homer kein Gehör ob seiner Warnungen vor den Sirenen/Loreleyen, die einen in des Wasser Tiefe herunter ziehen wollen und man sich deshalb an den Mast binden müsse, um nicht auf sie hereinzufallen, (vielleicht verwechselst man dort den Kilikier und Tragiker Homer mit dem Komiker Homer Simpsons aus USA, dabei hatte doch Umberto Eco in „Der Name der Rose“ extra darauf hingewiesen, dass es von Homer keine Theorie der Komödie gibt?) und man glaubte den Rheinländern und den Versprechungen des Rheingoldes. So nahm das Unglück seinen Lauf.
Jetzt kommen ein paar Sätze zur Freude von Vollbluttechnikern. Es gibt nur wenige Menschen in Deutschland, die die lyrische Epik vollends verstehen, aber versuchen wir es, seien wir mutig. Also, wohlan.
In der Internetgemeinschaft entwickelt sich folgende Standards für signierte E-Mails: RFC 822 (Standard for ARPA Internet Text Messages, 1982). Dann wurde aus der reinen Textmail MIME (Multipurpose Internet Mail Extensions, 1992) in RFC 1341. Zum Signieren und Verschlüsseln wurde das dann zu S/MIME RFC 1847 (Security Multiparts for MIME: Multipart/Signed and Multipart/Encrypted). Für das Signieren sind seit RFC 2633 wahlweise MD5 oder SHA-1 international verbindlich zugelassen als Signieralgorithmus. Ende der neunziger wurde S/MIME integriert in kommerzielle Produkte wie Lotus Notes von der IBM oder Outlook von Microsoft. Aber auch die Open Source Software von Mozilla, die jetzt Thunderbird heisst, kann das.
Ich habe seit 1998 solche Thunderbird-Mail mit S/MIME mit kostenlosen X.509-Zertifikaten für Verschlüsselung und Signierung. Die Postkörbe und Applikationen habe ich ohne Import und Export auf AIX, Windows (alle Varianten seit 1998) und nun auch MacOS. Ich kopiere nur den Dateibaum um. Fertig.
Doch wer sind wir Germanen, dass wir uns internationalen Standards einfach kommentarlos beugen und compliant werden? Wir als die Hüter des Rheingoldes gehen unseren eigenen Weg. Zunächst sagen wir, dass die internationalen Signieralgorithmen viel zu unsicher sind. Wir haben Stammheim als Hochsicherheitstrakt erfunden! Dann nehmen wir also RIPEMD. Freiheit für die akademische Welt! Dann konzedieren wir, dass man nicht nur millionenschwere Investitionen in Trustcenter (wie Post und Telekom) braucht, sondern auch Anwendungen. Also gut: wir entwickeln Deutsch-Mail. Der TeleTrusT-Verein spezifiziert also auf Basis von PEM Privacy Enhanced Mail RFC1421-1424 (ein älterer Standards, der zum Spielen frei ist, da ihn keiner nutzt) den Standard MailTrusT-Version 1.1 1996. Damit können dann die Fehlinvestitionen in die falsche Chipkarten-/Zertifikat-Infrastruktur gerettet werden, aber man ist vollständig inkompatibel zu gebräuchlicher Mail.
Zypries ist frohen Mutes und verkündet 2001, dass sie bei mindestens zwei Lieferanten 80.000 Mail-Clients für die deutschnationale Sondermail kaufen wolle und die Wirtschaft fragt vorsichtig an, ob man nicht das internationale und kostenarme S/MIME verwenden können. Die Rheinländer erbarmen sich und versprechen für MailTrusT Version 2 S/MIME. Unerkannt wird dabei RIPEMD eingeschmuggelt, was nicht zu S/MIME passt, aber in den Chipkarten nun mal drin ist.
Bar jeden empirischen Beweises und technischer Kompetenz wird dann, um die Sachen voran zu treiben, in SAGA 1.1 MailTrusT als verbindlich von der Bundesverwaltung zu nutzender Standard vorgeschrieben. Das war kurz vor Schilda. Als man dann merkte das alles nichts taugte, sagten die Rheinländer, dass MailTrustT noch mal ins Labor vom BSI müsse, Zypries war enttäuscht und signierte Mail verschwand in der Versenkung und tauchte nie wieder auf.
Signaturen – Versprechen um Versprechen
Weia! Waga!
Woge, du Welle,
walle zur Wiege!
Wagala weia!
Wallala, weiala weia!
Woglinde in „Das Rheingold“, Vorspiel, Richard Wagner
Nach dem ersten Versuch, das Rheingold zu nutzen, bleiben dann die Signaturkarten. Da gab es Anbieter, mit öffentlicher Förderung in zweistelliger Millionenhöhe wurden Produkte programmiert, die das nutzen sollten. Und dann wurde einige Themen durchs Dorf getrieben, die die Karten nutzvoll machen sollten:
- die Jobcard sollte jeder Arbeitnehmer bekommen. Arbeitgeber sollten Arbeitsbescheinigungen an eine zentrale Stelle signiert übermitteln, Arbeitnehmer mit Signaturkarte Dritten den Zugriff erlauben, und Dritte dann Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld, Wohngeld, usw.) auszahlen können auf Basis der Daten aus den elektronischen Arbeitgeberbescheinigungen.
- Die Gesundheitskarte sollte allen gesetzlich Versicherten zur Verfügung gestellt werden mit Signaturfunktion. 2011 begann dann der tatsächlich Rollout, ohne Signaturfunktion, ohne Anwendungen, aber mit Foto.
- Signaturbündnisse wurden in Bund und manchen Ländern geschlossen.
- Der neue Personalausweis nPA enthält neben der eID eine Signaturfunktion, aber es gibt anderthalb Jahre nach Einführung weder einen Zertifikatanbieter nocht zugelassene Lesegeräte für Signaturen.
Der massenhafte Einsatz von elektronischen Signiermöglichkeiten, wie er im letzten Jahrzehnt immer wieder versprochen wurde hat bisher immer noch nicht stattgefunden.Man ist geneigt, wie der begnadete römische Redner Marcus Tullius Cicero zu fragen“ „Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra?“ (Wie lange willst du unsere Geduld noch missbrauchen, Catilina?).
Die folgende Abbildung zeigt, dass es durchaus durchdachte und erprobte (Pilot mit BMWi, SAP, BA, Lufthansa, DRV) Verfahren gab, die was werden hätten können. Die Abbildung ist aus dem ursprünglichen Hartz-Bericht von 2002, Seite 123.
Ästheten unter den Lesern haben messerscharf erkannt, dass es sich hierbei um das später ELENA genannte Projekt handelte, welches wir zwar haben anlaufen lassen mit großen Kosten für die Wirtschaft, dann aber wieder eingestampft haben. Dieser Versuch, öffentliche Verwaltung elektronisch durchzuführen, ist vorerst gescheitert, wie man ungegelt neudeutsch sagt. Die Trutzburg aus Papier und mündlicher Tradition steht festgemauert in der Erden, wie Friedrich Schiller schon vermutete.
EU-Dienstleistungsrichtlinie – die Trutzburg funktioniert
Ein trauriges Kind rief mich zum Trutz:
vermählen wollte der Magen Sippe
dem Mann ohne Minne die Maid.
Siegmund, Die Walküre, Erster Akt, Richard Wagner
Der nächste Versuch, die Trutzburg zu schleifen, war die IT-Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Wir waren alle ganz aufgeregt, weil jetzt echtes E-Government unvermeidbar schien. Die Verwaltung bekam ihren Kulturschock, weil der „Einheitlich Ansprechpartner“ jetzt einen Überblick darüber haben musste, was ein Unternehmer alles machen muss, wenn er einen Dienstleistungsbetrieb bei uns eröffnen will. Hatten wir vorher die Anforderungen auf zahlreiche Gesetze in bester Taylorisierung auf zahlreiche Gesetze und Verordnungen mit unterschiedlicher Ressorthoheit und unterschiedliche Ebenen verzettelt (klassisch ist der Konflikt bei einer GmbH-Gründung zwischen Gewerbeordnung, kommunaler Zuständigkeit der Exekutive und Betreuung durch das Bundeswirtschaftsministerium in der Gesetzespflege auf der einen Seite und Handelsgesetzbuch, Landeszuständigkeit bei den Gerichten und Pflege durch das Bundesjustizministerium), muss jetzt eine Behörde den gleichen Überblick gewinnen, den man vorher auf den Unternehmer abgewälzt hatte.
Die EU hatte durchgesetzt, wenn man schon nicht das Recht des Entsendelandes des Unternehmers in anderen Staaten anwenden dürfe, wie der erste absurde Entwurf vorhatte (25 Rechtsordnungen beim Haareschneiden in Deutschland wollte man), dann solle der Unternehmer den ganzen bürokratischen Overhead bequem schon elektronisch von zu Hause machen können. Dazu heißt es im Artikel 8 der EU-Dienstleistungsrichtlinie:
„Elektronische Verfahrensabwicklung
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass alle Verfahren und Formalitäten, die die Aufnahme oder die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit betreffen, problemlos aus der Ferne und elektronisch über den betreffenden einheitlichen Ansprechpartner oder bei der betreffenden zuständigen Behörde abgewickelt
werden können.“
In allen Bundesländern machte man viele und schöne Projekte, um pünktlich zum 28.12.2009 die EU-Dienstleistungsrichtlinie umzusetzen, siegte wieder die Trutzburg der Rheingold suchenden gegen die Vernunft. Obwohl die EU-DLR klar und missverständlich fordert „problemlos aus der Ferne und elektronisch“, sagt Deutschland, das interessiert mich nicht. Wer bei mir etwas elektronisch Verbindliches von einer Behörde will, wird durch die harten Mauern des §3a VwVfG davon abgehalten. Außer in Deutschland gibt es keine qualifizierten Signaturen zu kaufen, die in Deutschland akzeptiert werden. Damit konnten die deutschen Verwaltungen völlig beruhigt ihre Zugänge eröffnen und brauchten keinerlei Angst haben, dass ein EU-Europäer sie in Spanisch, Englisch, Holländisch oder Italienisch belästigen würde, weil man ihn immer mit dem Hinweis auf die fehlende qualifizierte Signatur abwimmeln konnte. Yeah! Und keiner hat sich darüber aufgeregt, denn nach jahrzehntelangem Abwehrkampf hatte sowieso keiner befürchtet, dass die Verwaltungen mitspielen würden. Das große Schweigen wird über diese hinterhältigen Boykott der EU-Dienstleistungsrichtlinie geworfen.
Das Finanzministerium – Siegfrieds Lindenblatt
Hagen von Tronje: Jawohl! Doch sprich:
Wie hat ein Lindenblatt ihm schaden können?
Das ist ein Rätsel, wie kein zweites mehr.
Kriemhild: Ein rascher Windstoß warf’s auf ihn herab,
Als er sich salbte mit dem Blut des Drachen,
Und wo es sitzenblieb, da ist er schwach.
Nibelungenlied, Vierter Akt, Sechste Szene, Friedrich Hebbel
(Siegfried war durch das Bad im Drachenblut gepanzert außer dort, wo das Lindenblatt ihn traf. Hagen will ihn töten und lockt Siegfrieds Frau zum Verrat)
Die Finanzverwaltung in Deutschland ist der Bereich, der uns an ein kleines gallisches Dorf erinnert. Hier geht es um Geld und nicht um Eitelkeit theoretischer Sicherheitsfanatiker. Und wenn es ums Geld geht, hört der Spaß auf. Die Kelten in Gallien hatten einen anderen Ansatz als die Germanen östlich vom Reich. Man assimilierte sich an die Römer, gab zwar die eigene Identität auf, aber machte einen Sprung in der Kultur. Ähnlich unsere Finanzbehörden. Sie schlossen sich nicht der vergeblichen Jagd nach dem Rheingold oder dem Gral an (obwohl sie meist selbst westlich des Rheins residieren), sondern wollten richtiges Geld. Schnell.
Wie Insider 2002 bemerkten, ließen sie sich bei der Reform 2002 der Öffentlichen Rechtes eine Ausnahmegenehmigung in der Abgabenordnung geben, dass sie fünf Jahre auf Nutzung der Qualsignatur erst verzichten dürften, um ihre Online-Steuererklärung für die Einkommenssteuer mit ELSTER (die Leute haben auch den Humor, sich nach einer diebischen Elster zu benennen)
In der germanischen Mythologie war die Elster sowohl Götterbote als auch der Vogel der Todesgöttin Hel, so dass sie in Europa den Ruf des Unheilsboten bekam. Als „diebische“ Elster war sie auch im Mittelalter als Hexentier und Galgenvogel unbeliebt (Quelle: Wikipedia)
erst mal erfolgreich werden zu lassen und dann erst mit Qualsignatur zu verschönern. Der Erfolg wurde dann mal um Mal erweitert:
- Erst nutzte man ELSTER für die Einkommensteuer
- Dann nahm man den gleichen Mechanismus auch für die Umsatzsteuervoranmeldung.
- Es folgte der Einsatz bei der E-Bilanz.
- Zwischendurch gab es eine Irritation bei dem Umsatzsteuervorabzug. Irgendein Rheingold-Troll hatte es geschafft, bei elektronisch übermittelten Rechnungen Qualsignaturen zu fordern. Das ist aber wieder repariert und die elektronische Form wieder der Schriftform gleichgestellt: keine Unterschrift, keine Signatur (siehe Abschied von der Rechnungssignatur).
Die Finanzbehörden sind damit die verwundbare Stelle durch das Lindenblatt auf auf des Germanen Siegfrieds Panzer, der verhindert, dass das elektronische Leben in den Innenbereich der Öffentlichen Verwaltung eindringt.
Was macht das Ausland?
Trauer schüf‘ ihm sein Trotz!
Drum rat‘ ich dir, reize mich nicht!
Wotan, Die Walküre, Richard Wagner
Nun mag man sich fragen, ob es im Ausland Rat und Tat gibt, damit wir vorankommen. Denn die Behörden müssten doch für das globale Problem Internet global die gleichen Probleme haben wie wir in der öffentlichen Verwaltung. Schauen wir uns um:
- USA, Texas online
Dieses staatliche Portal des US-Bundesstaates Texas wird mittlerweile vom zweiten privaten Betreiber erfolgreich betrieben. Auch Kommunen wie Houston, Dallas, usw. haben sich angeschlossen. Dort kann man online Führerscheinverlängerungen (Driver Licence Renewal), Geburtsurkunden, Sterbeurkunden, Heiratsurkunden, Scheidungsurkunden, usw. bestellen. Bezahlt wird mit Kreditkarte, geliefert wird in alle US-Staaten und an alle US-Militäradressen weltweit. Einziger Nachteil: „Overnight or next-day deliveries are not available online“, also nur normale Postzustellung 🙂 Für einen Waffenschein allerdings muss man vor der Online-Bestellung seine Fingerabdürcke bei einem privaten Dienstleister hinterlegen. Aber auch Unternehmen können ihr E-Government online durchführen. Z.B. können alle Öl- und Gas-Administrationsaufgaben online erledigt werden. - USA, Internal Revenue Service
Die US-Steuerbehörden sind von der reichhaltigen Funktionalität von einem Wirtschaftsunternehmen kaum zu unterscheiden. Es wird spezielle Steuersoftware angeboten, Demofilme über YouTube gezeigt und Smartphone Apps für Android und Apple angeboten. - United Kingdom
Wie in den USA sucht man für Sicherheitsprobleme nicht nur technische sondern überwiegend juristische Lösungen (Counter Fraud Unit), so wie es in Deutschland auch z.B. bei den EC-Karten gehandhabt wird: es wird ein vernünftiges Sicherheitsniveau in der Technik implementiert und der Rest dann juristisch geklärt. Z.B. durch schnelle Sperrung von Kreditkarten und Rückvergütungen von Falschbuchungen.
In UK sind landesweit die E-Governmentaktivitäten in www.Direct.gov.uk gebündelt. Z.B. kann man bei Diebstahl oder Namensänderung Führerscheine online neu bestellen und mit Kreditkarte bezahlen.
Die größten Unterschiede, die es einem noch weniger nachvollziehbar machen, warum die Deutschen die Sonderbehandlung brauchen, findet man im Rechtssystem. Neuerdings schicken Gerichte in Teilen des Commenwealth gerichtliche Nachrichten über Facebook zu: siehe „Legal claims can now be served via Facebook in Britain, after a landmark ruling in the English High Court“ oder „In a U.K. First, High Court Judge ‚Likes‘ Facebook for Serving Legal Claims on Missing Defendant„. - Niederlande, Venlo
Selbst in unserem europäischen Nachbarstaat an der Rheinmündung wird niemand gezwungen, sich spezielle Hardware zu beschaffen, wenn er mit seinem Staat oder seiner Kommune verbindliche Kommunikation online pflegen will. Für Unternehmen und Bürger bietet die Stadt Venlo eine DigiD (in Englisch: DigiD) an. Für holländische Bürger reduziert sich nach der Anmeldung die Identitätskontrolle auf Username und Passwort, um behördliche Transaktionen zu initiieren.
Man könnte die Beispiel noch weiter fortsetzen. Ergebnis ist immer:
- Nirgendwo werden die Bürger so hart von der Verwaltung durch Hardware ferngehalten wie in Deutschland.
- Es gibt kein Indiz darauf, dass ausgerechnet in Deutschland ein höheres Sicherheitsniveau erforderlich wäre als in allen anderen Staaten der Welt.
- Es taucht der Verdacht auf, dass die Trutzburg eher ein Wirtschaftsförderprogramm ist mit verdeckten Subventionen ohne Nutzen für den Bürger. Im Gegenteil: er hat doppelten Schaden: er muss die Subventionen bezahlen und wird auch noch vom Staat ferngehalten.
Wo stehen wir jetzt?
Wie der Schein so hehr das Herz mir sengt! …
Selig schien mir der Sonne Licht; …
da bleicht die Blüte, das Licht verlischt;
nächtiges Dunkel deckt mir das Auge:
tief in des Busens Berge glimmt nur noch lichtlose Glut.
Siegmund, Die Walküre, Erster Akt, Richard Wagner
Nun können wir uns ja fragen, waren wir denn in der Trutzburg die letzten 15 erfolgreich? Natürlich haben wir eine Vielzahl von Leuchttürmen (wie ich schon einmal hier bemerkte), auch im Jahre 2012:
- Im Kraftfahrtbundesamt kann man seinen Punkteauszug vom Verkehrsünderegister mit Hilfe des nPA abfragen und bekommt den Auszug Wochen später per normaler Post wie früher statt sofort und online
- In Berlin dauert die Online-Auskunft aus dem Melderegister immer noch 8 Wochen (und kommt dann wie früher mit der Papier-Post, statt online wie in anderen deutschen Kommunen oder für ganz Österreich zentral).
- Beim Bundesverwaltungsamt gibt es eine neue Anwendung, wo man mit nPA Kredite nach dem BAFöG bekommen kann (während ausländische Studenten an der US-Elite-Universität Harvard über das Internet Stipendien (Zuschüsse statt rückzahlbarer Kredite wie bei uns nach der Kohl’schen „Reform“ von 1983) beantragen können ohne elektronischen Identitätsnachweis)
Aber haben wir neben Leuchttürme auch Häfen, Schiffe, Passagiere und Fracht, die erst eine ganze Schifffahrt ausmachen (von mir aus auch auf dem Rhein, wie ich als gebürtiger Duisburger, linksrheinisch, ergänzen darf)?
Von über 2,9 Mio Unternehmen (nach Statistischem Bundesamt, davon 2,5 Mio Einzelunternehmen, also über 400.000 sonstige) und über 6.000 Kommunen, haben aber nur etwas über 100 Berechtigungszertifikate beantragt, also planen Aktivitäten, die online den neuen Personalausweis nutzen wollen. Das ist nach 15 Jahren Vorlauf mit Signaturgesetz und 1,5 Jahren neuem Personalausweis (die zu vielen hundertausenden schon im Umlauf sind) mit Verlaub Pillepalle. Und ständig werde neue Technotrends verkündet: Einmalzertifikate, nPA-Funktionalitäten mit Mobiltelefon und viele andere Gesänge, die wir auch mit erfolglosen Signaturkarten besungen hatte. Sind es Sirenengesänge?
Ich erinnere mich dunkel an das archaische Bild, dass die Vielfalt der Sprachen, die beim Turmbau zu Babel (Wirrsal) zum Einsatz kamen, um den Bau zu verfluchen und sein Misslingen zu garantieren:
„Wegen dieser Selbstüberhebung straft Gott die Völker, die zuvor eine gemeinsame Sprache hatten, mit Sprachverwirrung und zerstreut sie über die ganze Erde.“ Nach wikipedia und Altem Testament, Genesis 11, 1-9).
Selbst in technisch aufgeschlossen Kommunen wie Münster/Westfalen, wo der IT-Dienstleister citeq hervorragende Unterstützung für seine Mitgliedskommen liefert, haben wir nach 25 Jahren Internet in Deutschland und 15 Jahren Signaturgesetz nur 8 Verfahren online . Und dazu zählen so traurige wie Anmeldung von Elektrogroßgeräten zur Abholung (also alte Kühlschränke zum Sperrmüll fahren, geht auch online ohne nPA), Fahrradfundmeldung (nicht Diebstahl), Wunschkennzeichen (geht seit Jahren ohne nPA und ohne Schriftform). Die Gewerbeanmeldung aber geht immer noch nicht online, obwohl sie nach Artikel 8 EU-Dienstleistungsrichtlinie einfach und online seit 28.12.2009 durchführbar sein müsste (also für alle EU-Bürger ohne nur in Deutschland erhältliche Signaturkarte und ohne deutschen Personalausweis).
E-Government-Gesetz und E-Justice-Gesetz
Freia: Wo harren meine Brüder, dass Hilfe sie brächten,
da mein Schwäher die Schwache verschenkt? Zu Hilfe, Donner!
Hieher, hieher! Rette Freia, mein Froh!
Fricka: Die in bösem Bund dich verrieten,
sie alle bergen sich nun!
Das Rheingold, Zweite Szene, Richard Wagner
Nun ist erfreulich, dass man sich national erhoben hat, um in Bund. Ländern und Gemeinden einheitliche E-Government Standards zu schaffen. Wir haben eine Nationale E-Government Strategie (NEGS) für Bund Länder und Gemeinden, um auch die Kommunen trotz kommunaler Selbstverwaltung nach der Preußischen Reformen des Freiherrn vom Stein 1808 ins Boot zu holen (auf deren Reformfähigkeit wir stolz sein können), um dem Bürger einen elektronischen Staat aus einem Guss zu bauen. Wir haben unser Grundgesetz (Artikel 91c) dafür angepasst, um Bund und Länder einfacher im E-Government zusammenarbeiten zu lassen, was auch im IT-Planungsrat seinen Niederschlag findet.
Aber wir kommen nach BundOnline2005 und Deutschland-Online nur schleppend vorwärts. Ein wenig hat man den Eindruck, dass man sich auf Infrastruktur und auf Sicherheit zurückzieht und anders als in anderen Ländern, Steigerung von Effektivität und Effizienz nicht im Vordergrund steht. Das schleppende Vorankommen wird in den Abteilungen IT und O auch so gesehen (siehe Martin Schallbruch beim IT-Planungsrat (Flash-Film) oder Beate Lohmann beim nationalen Prozesstag in YouTube).
Nun werden derzeit Entwürfe von E-Government-Gesetz und E-Justice-Gesetz diskutiert. Schon bei der Errichtung des IT-Planungsrates wurde im Bundestag kritisiert, dass die Parlamente nicht beteiligt waren. Bei dem Entwurf für das E-Governmentgesetzes, war da auch irritierend, dass der Entwurf erst von den Piraten geleakt (Stand vom 19.1.2012) werden musste, statt breit mit Verwaltung, Parlament, Bürgern und Wirtschaft zu diskutieren.
Obwohl eingesehen wird, dass Schriftformerfordernis, Signatur und auch DOMEA nicht funktionieren und auch eingescannte Dokumente Rechtskraft (wie in anderen Ländern) entfalten müssen, wird an den alten Strukturen DE-Mail, Signatur (§3a VwVfG), nPA festgehalten, obwohl die ihre Nützlichkeit in den letzten Jahren nicht nachgewiesen haben. Die Verwaltungen sollen zwar zwangsweise ihre Zugänge öffnen (was sie schon mit der EU-DLR zum 28.12.2012 öffnen mussten), aber die Trutzburg bleibt weiter verschlossen mit §3a VwVfG. Der §3a VwVfG wird dahingehend verändert, dass Signaturen tot geschrieben werden und durch eID des nPA und DE-MAil ersetzt werden, was wiederum die Ausländer ausschließt und die Umsetzung der EU-DLR verhindert).
Seit vielen Jahren wird an DE-Mail gearbeitet und die Post drängt mit massiven Werbeaufwand mit einem Wettbewerbsprodukt in den Markt, aber man redet von Sicherheit und weigerte sich Ende-zu-Ende Verschlüsselung anzubieten, die internationale Standardprodukte (Signierung und Verschlüsselung mit S/MIME) seit 15 Jahren haben. Auch wird die Georeferenzierung von Daten anerkannt, aber es wird nicht operationalisiert, obwohl tausende von Vorschlägen vorliegen, wie man staatliche Daten georefenziell nutzen kann und auch Bereitschaft dafür da ist.
Open Data werden zwar erwähnt, aber man hat weder Vision noch Strategie. Man schreibt es zwar ins Gesetz (als Trutzburg wie bei Informationsfreiheitsgesetz, wo mir mit Gebühren die Öffnung des Staates abgewehrt haben?). Statt eigener Meinung ruft man zu einem Wettbewerb auf und sagt den Bürgern, sie sollen doch kundtun, was der Staat an Daten hat und was man wie öffnen könne.
Beim Entwurf des E-Justice-Gesetzes (Stand 8.1.2012) legt nicht die Bundesregierung, nicht der Bundestag, sondern der Bundesrat vor. Auch hier ist die Analyse richtig:
„Die freiwilligen Angebote der Länder zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten werden bislang nur in geringem Umfang genutzt.“
Aber die Maßnahmen die folgen, muten partiell absurd an: was der Markt nicht wollte, soll erzwungen werden. Mit „weiteren sichere Verfahren der elektronischen Identifikation“ wird auch hier die Qualsignatur abgeschrieben, aber statt sich im Ausland nach pragmatischen Lösungen zu erkundigen, wir die nächste Technikrunde mit nicht evaluierter Technik gefordert, anstatt wie bei Urkunden die Problemlösung im Rechtsraum zu belassen, statt sie erratisch in die Technik zu verlagern.
Positiv zu vermerken ist, dass pflichtgemäß die elektronische Akteneinsicht möglich sein muss. Süß dagegen ist die Formulierung „Übersendung von Originalschriftsätzen per Fax„. Das muss durch übermäßigen Fernsehgenuss in den Vorschlag gekommen sein („Beam me up Scotty„). Bei realer Betrachtung hätte man nach gefühlten 400 Jahren Fax in Deutschland wissen können, dass beim Fax das original beim Sender bleibt und der Empfänger eine Kopie erhält. Wenigstens Humor haben sie.
Was haben wir noch für Möglichkeiten?
Die erste Norne: Noch ist’s Nacht.
Was spinnen und singen wir nicht?
Die zweite Norne (zu der ersten): Wollen wir spinnen und singen,
woran spannst du das Seil?
Götterdämmerung, Vorspiel auf dem Walkürefelsen, Richard Wagner
Helmut Krcmar hat in dem oben erwähnten Video des IT-Planungsrates darauf hingewiesen, dass uns für viele Probleme des E-Governments Fakten fehlen: Anzahl von Verfahren, Kosten, Nutzerzahlen, usw. Letztlich steckt hinter seiner Kritik auch, dass wir unser E-Government nicht am Nutzen orientieren, keine Business Cases vorlegen. Wir schauen auch nicht ins Ausland, wir machen keine Benchmarks (was ja auch die KGSt allgemein beim KLR-Benchmarking erfahren musste).
Wir fördern neue Technologien, ohne darauf zu achten, ob sie sich bewährt haben. Bei uns in Piloten, bei anderen im Wirkbetrieb. Wir wissen nicht, was die Bestellung einer Mülltone in Portsmouth, UK, oder in Münster bei den Stadtwerken kosten, wenn wir es online machen.
Wir postulieren Maßnahmen, die wir bräuchten, um diffus Sicherheit zu steigern, ohne zu messen, wiegen, prüfen. In der Medizin wäre es undenkbar, dass wir ohne Evidenz-Nachweis im Labor und im Feldtest Medikamente zulassen würden, geschweige denn von den Krankenkassen bezahlen lassen würden, wie es der gemeinsame Bundesausschuss beschließt. Im Sozialgesetzbuch Band V (SGB V) §92 Absatz 1 heißt es:
„er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind.“
Die britische Regierung, die über vielfältige und auch viele negative Projekterfahrungen (lessons learned) verfügt, hat nicht nur erfolgreich den Standard ITIL zum Betrieb von IT-Umgebungen eingeführt, sondern auch die Projektmanagementmethode PRINCE2 (Projects in Controlled Environments) ausgearbeitet, die strikt am Nutzen der Ergebnisse von Projekten ausgerichtet ist. Erbringen Projekte nicht den erwarteten Nutzen, wird umgesteuert oder abgebrochen.
Denkbar wäre es, wenn wir unsere Maßnahmen aus Szenarien ableiteten, um den Nutzen zu bewerten, bevor wir mit der Umsetzung anfangen. Ich stelle mir immer eine Familie vor, die neu in der Stadt ist und bei Google Maps in der Umgebung folgende amtliche Daten (im Sinne von echtem Open Data) leicht findet:
- Wo ist eine Kita für Kind? Wie sind Kindergärtnerinnen qualifiziert (Entgeltgruppen S2-S18 TvÖD-VKA)? Welche Zusatzangebote gibt es? Zu welchen Preisen?
- Welche Schulen gibts es, wie sind die Lehrer geraten (Siehe Spickmich), was sind die Ergebnisse der Qualitätsinspektionen, welche Zensuren erreichen Schüler in den Abschlüssen, was ergaben die Inspektion mit PISA und anderen?
- Welche Ergebnisse haben die Qualitätsinspektionen des MDK bei den Pflegeheimen ergeben, wenn Opa stationär in Pflege muss?
- Welche Krankenhäuser, Ärzte sind in der Gegend (alle staatlich überwacht)?
- Welche Kultureinrichtungen mit welchem Programm finanziert der Staat in der Umgebung (Opern, Theater, Sporteinrichtungen)?
- Wo sind die Zahlen aus den Gutachterausschüssen für Immobilienverkäufen, wie hoch sind die Mieten nach Mietspiegel, wie hoch ist die Belastung an Schadstoffen (S02, Schwebstoffe, Emissionskataster…)?
All diese staatlich teuer erhobenen Daten habe ich noch nicht in Anwendungsszenarien oder einer Vision gesehen. Google schafft das Zusammenführen aus privaten und öffentlichen Quellen einfach und übersichtlich in Google Earth und Maps. Weltweit. Aber wir schaffen es nicht, unsere steuerfinanzierten Daten so auch darzustellen, damit sie für die Bürger Nutzen stiften, auch bei der Wohnraumfindung durch Kauf oder Miete, und lassen unsere Familien einfach hängen?
Aus Wien habe ich von öffentlichen Toiletten als unvisualisierte Open Data Rohdaten gehört (wie bei Gratispinkeln.de), aus anderen Städten gab es Nachrichten zu Hundesscheiße, in München ist die Open Data Initiative MOGDy aus Geldmangel zusammengebrochen.
Ich sage es mal brutal: Wenn wir diese beiden E-Government und E-Justice-Gesetzentwürfe umsetzen, werfen wir uns weiter in unserer Trutzburg gegenüber anderen Ländern zurück. Auf Kosten der Bürger. Aber wir werden vielleicht uns auch weiter die Mitarbeiter der Verwaltung sauer fahren, die aus demografischen Gründen im Burnout nicht beliebig einfach ersetzbar sind, die aber außerhalb der Trutzburg sehen, was andere schaffen und wir nicht.
Aloysius, hilf!
Erda: Weiche, Wotan, weiche!
Flieh des Ringes Fluch!
Rettungslos dunklem Verderben
weiht dich sein Gewinn.
Wotan: Wer bist du, mahnendes Weib?
Das Rheingold, Kapitel 7, Richard Wagner
Wenn wir uns weiter in der Trutzburg verrennen und das Rheingold suchen, dann wird der Ludwig Thoma für uns war werden:
„… und so wartet die bayerische Regierung bis heute vergeblich auf die göttlichen Eingebungen“
weil der göttliche Bote Alyoisius noch heute im Hofbräuhaus sitzt und sich von seinem Burnout („‚lluja, sog i“) im Himmel erholt. (Siehe ein Münchener im Himmel). Wer das Trauerspiel nicht kennt, sollte sich im Internet informieren, z.B. hier.
Oder wie es Udo Lindenberg 1974 mit Elli Pirelli sagte: Oh, Wotan weiche von mir (abgeleitet von Richard Wagners „Weiche, Wotan, weiche!„). Oder für die Freunde der IT sei es in Englisch gesagt: There ain’t no such thing as a free lunch.
Seien wir mutig!
Ende.
Herzlichen Glückstrumpf zu dem Artikel,
er entspricht ungefähr meiner „Wortmächtigkeit“.
In diesem Fall bin ich mit dem Tatort Deutschland und Albarich.
LG Ralf
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Ich mag Ihre Sicht auf die Signatur-Dinge. War ich doch auch von den technischen Möglichkeiten anfangs begeistert, so muss ich doch feststellen, dass der Einsatz weit weg vom Pragamtismus ist. Speziell was die Kosten betrifft, die wir Bürger alle mitzuzahlen haben.
Wie bei dem Argument des nachträglichen Verzichts auf das qualifizierte Signieren der Eingangsrechnung wird der unterzeichnete Inhalt immer noch auf korrekte Information validiert. Und wenn was nicht stimmt, wird das geklärt (Punkt)
Galt früher der Handschlag, soll jetzt gar mit „Teufelszeug“ (O-Ton einer Reisebegleitung auf einer meiner vielen Bahnfahrten) unterschrieben werden.
Zu Ihrem ersten Teil habe ich inzwischen auch ein wenig über die vergangenen Jahre recherchiert. Leider ist ja während der Zeit der Christianisierung viel historisches Material vernichtet worden oder in die nicht einsehbare Bibliothek im Vatikan verbracht worden (das betrifft aber auch andere eroberte Länder). Die Sieger haben nachträglich das Faustrecht als übel beschrieben. Dabei waren die germanischen Haufen recht basisdemokratisch unterwegs. Klagen bei Ungerechtigkeit wurde auf dem Things/Ding gemeinsam verhandelt, und zwar so, dass eine optimale Lösung für alle Beteiligten heraus kam. Gut, es durften auch nur die wehrhaften Männer Rat halten, sprich Frauen und Sklaven waren auch hier außen vor.
Der Name „Ding“ steckt so noch in vielen deutschen Worten: Be-ding-ung, be-ding-t, ding-lich, Dsa Ding -> die Sache …
Auch nett: Aller guten Dinge sind drei
Wer drei Mal der Ladung zu einem Ding nicht folgte, wurde dorthin gezerrt.
Hier wurde als Recht nicht nach geschreibenem Gesetz, das Irgendjemand, den man nicht kennt verhandelt, sondern nach den Regeln gesprochen unter Menschen, die sich kannten: statt Fremdbestimmung sehe ich hier Selbstbestimmung.
Waren diese Germanen nicht viel freier? Ürigens heißt der Name der germanischen Franken übersetzt: die Freien. Sie wohnten zur Zeit der Römer in den nicht besetzten Gebieten. Und ja, nach der Verdrängung der Römer wurde es was schmuddeliger in den kleineren Städten, die neben den römischen erstellt wurden. Die Germanen konnten mit dem Lebensstil der Römereliten nicht viel anfangen und nutzten diese aufgebenen Städe quasi als Steinbruch …
Viel Grüße und auf das wir mit den qualifizierten Siganturen nicht mehr lange gequält werden
Martin Bartonitz
p.s. Ich war übrigens Jener, der beim VOI-Vorstand Bescheid gab, dass auf deren Einwurf beim BSI die TR-FELS entschärft wurde und zur TR-ESOR wurde …