Wo kommt die „Kostenlos-Kultur“ her?

Unsere Freunde aus der Printgemeinde führen seit einigen Wochen einen Shitstorm gegen die sogenannte „Kostenlos-Kultur“ im Internet. (Sie meinen damit das Geschäftsmodell, dass der, der eine kulturelle Leistung bezieht oder konsumiert, nicht der ist, der sie bezahlt). Ihre Wut ist so groß, als gölte es den Untergang des Abendlandes durch Schmähschriften zu verhindern. Da fragt man sich, ob es diese „Kostenlos-Kultur“ (auch „Umsonst-Kultur“) nur im Internet gibt oder schon vorher gab. Wo ist sie dann aber entstanden?

Gladiatoren vom Zliten Mosaik in Lybien (vermutlich 200 n.Chr.). Gemeinfrei.

Shitstürme der Intelligenzia gegen die Bürger

Auf dem Ticket des Urheberrechtes verhärten sich seit Monaten die Fronten zwischen Teilen des kulturindustriellen Komplexes und den Bürgern. Da sollen für die Rechteverwerter die Internet-Serviceprovider sämtliche Internetbewegungen aller Bürger überwachen und tief in einzelne Datenpakete hineinschauen (Deep Packet Inspektion), ob dort evtl. urheberrechtlich geschütztes Material dabei ist. Reicht der Druck nicht aus, so wird zur Totalüberwachung der Bürger von manchen Politikern  noch Kinderpornographiebekämpfung (obwohl der Staat den Dreck nicht löschen wollte, sondern nur rote Vorhänge vorhängen wollte)  und Terrorismusbekämpfung draufgesattelt (obwohl der Staat über 10 Jahre untätige gegen die Serienmörder der NSU war und wir in Deutschland so gut wie keinen Terrorismus haben, es sei denn er wird von Politikern bestellt wie beim Celler Loch (s.a. NDR: Beamte verüben Anschlag)).

Da wird in geheimen Hinterstubenverhandlungen zwischen Vertretern des kulturindustriellen Komplexes und wenig transparenten Politikern gegen die Bürger verhandelt, z.B. auch ACTA. Es werden Sperren gegen Bürger (Three-Strikes) gefordert. Man braucht eine Vorratsdatenspeicherung (mit der der Rechtsstaat abgeschafft werden soll, dass nämlich ohne Verdacht keine Beweismittel und schon gar nicht in einer Vollüberwachung gesammelt werden dürfen), damit der Abmahnwahn seine 600.000 Abmahnungen nach Verschärfung des Urheberrechts durchgesetzt bekommt. Umsätze, bei deren Erzielung der Staat mit der Justiz einspringen muss wie im Sozialismus, wo die Marktelastizität für marktwirtschaftliche Umsätze nicht mehr reicht. Um nun mit polizeistaatlichen Methoden der Vollüberwachung der Bürger ein nicht funktionierendes Geschäftsmodell mit brachialer Gewalt durchzusetzen, werden immer mehr „Künstler“ oder allgemeiner Vertreter des kulturindustriellen Komplexes losgeschickt, um für den Polizeistaat Werbung zu machen, wie weiland bei der Atomenergie, wo man auch medial Amok lief, dass die Lichter ohne Atomenergie ausgehen würden (wo man heute eher davon ausgeht, dass das Leben ausgeht mit Atomenergie, der man im Iran nachsagt, dass sie immer auch mit Atombomben einhergeht).

Einige Beispiele der hysterischen Propagandakampage seien genannt:

  • 51 Tatortautoren (also Schriftsteller, die für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten, der bei uns von Zwangsabgaben und Werbung vollständig finanziert wird) klagen bitter über die Enteignung der Urheber im Internet. (Ich muss ehrlich gestehen, dass ich in 25 Jahren Internet noch nie ein Tatortdrehbuch im Internet gefunden habe)
  • Sven Regener (offenbar ein Musiker, ich kannte ihn vorher nicht) hat im Rundfunk eine Wutrede gehalten, wie schlimm das Internet für Musiker sei und er deshalb gegen die „Kostenlos-Kultur“ wettern müsse (siehe z.B. Handelsblatt: „Rockmusiker Regener rechnet mit Piratenpartei ab“.
  • Die Kostenlos-Kultur im Internet zerstört die Basis der Kreativwirtschaft und richtet wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden anDieter Gorny, Verband der Musikindustrie.
  • Christoph Keese, Springer AG, auf seinem Blog „der pressschauder“: „Wer am 9. Juni gegen Acta auf die Straße geht, demonstriert gegen Kunst und Künstler„.

So geht das fast Woche um Woche, Suada um Suada. Es soll uns eingeredet werden, dass es eine Kostenloskultur gäbe, die erst mit dem Internet aufgekommen sei, um zu schädigen. Gut, naive Politiker glauben das nun einfach. Aber ernsthafte Menschen fragen sich: Gibt es so etwas tatsächlich, dass man kreative Leistungen kostenlos oder umsonst bekommen kann? Oder meinen die nur, dass Leistungsempfänger nicht direkt an Leistungserbringer Zahlungen leisten, was die Hysteriker für ein schöneres Geschäftsmodell halten würden?

Machen wir einen Blick in die Geschichte und fragen uns danach, ob es wirklich für die Menschheit erstrebenswert ist, die Vielfalt der Geschäftsmodelle auf ein solches Direktbezahlungsmodell zurück zuschrauben.

Gladiatorenkämpfe im glorreichen Imperium Romanum (Römisches Reich)

Es war so gegen 350 v. Chr. als in Kampanien im Süden Italiens sich der Brauch entwickelte, dass Hinterbliebene für ihre Verstorbenen einen Munus (Geschenk an die Götter) zu entrichten hätten. Zum Bestattungsritual gehörte, dass Schwertkämpfer (Gladiatoren) Kämpfe austragen mussten. Von Capua übernahmen die  Römer diese Sitte nach Rom.

In speziellen Schulen wurden die Gladiatoren gedrillt (meist Sklaven oder Kriegsgefangene, aber auch Freiwillige) und mit hoher Qualität von den Editoren (heute würde man Manager sagen) als Veranstalter an die Hinterbliebenen vermietet/verkauft. Es war verboten, Eintritt zu verlangen. Da die Kämpfe nicht seichtes Entertainment waren, sondern um Leben und Tod gingen, waren die Veranstaltungen bei Plebejern und Adeligen sehr beliebt. Kaiser Augustus, den wir aus dem Evangelium kennen, verfügte 22. v. Chr. dass Privatleute nicht mehr ohne Genehmigung des Staates Munera ausrichten durften. Von da an schenkten nicht mehr Privatleute den Göttern das Spektakel, sondern der Kaiser schenkte es seinem Volk. In beiden Fällen konnten die Zuschauer den Thrill des Spektakels kostenlos genießen.

Kolosseum in Rom. Photo by DAVID ILIFF. License: CC-BY-SA 3.0

Zur vollen Blüte dieser, einer der ersten urkundlich erwähnten, Kostenlos-Traditionen kam es, als Kaiser Vespasian (der als Sieger des Bürgerkrieges das Reich politisch und finanziell stabilisierte)  das Kolosseum bauen ließ, das wahrscheinlich aus den Plünderungen des Jerusalemer Tempels finanziert wurde, die nach der Niederschlagung des Aufstandes in Judäa durch Vespasians Sohn Titus stattfanden. (Heute führt man Krieg oder neudeutsch Niederschlagungen von Aufständen wie in Afghanistan meist ohne nennenswerte Beute). Damals konnten dann die Bürger kostenlos sich an Gladiatorenkämpfen, Kämpfen wilder Tiere und sogar nachgestellten Seeschlachten im Kolosseum berauschen. Nebenan konnten sie kostenlos Wagenrennen im Circus Maximus beiwohnen. (Das Kolosseum und sein Geschäftsmodell ist übrigens sehr schön in GEO Epoche Nr. 54 April 2012 Rom  – die Geschichte des Kaiserreiches, S. 48-57, beschrieben).

Natürlich waren die Spektakel nicht wirklich kostenlos. Irgendjemand musste sie immer bezahlen. Entweder die Hinterbliebenen oder der Staat, aber nicht die Zuschauer, wie es die Printgemeinde nun neumodisch fordert, weil ohne Zahlungen der Zuschauer/Konsumenten nach ihrer Ansicht das Abendland wegen dieser angeblichen „Kostenlos-Kultur“ untergeht.

Heute wird vom Denkmalschutz in Rom gefordert, dass sich nicht mehr als 6.000 Personen im Kolosseum gleichzeitig aufhalten. Dies wird erreicht durch einen Paywall: die Touristen müssen ohne Spektakel einen abschreckenden Eintritt in die Ruine zahlen. Geschäftsmodelle können sich also auch ändern.

Die gesetzliche Krankenkassen

Otto von Bismarck: Karikatur "Der Lotse geht von Bord" von Sir John Tenniel 1890. Gemeinfrei.

Eine andere Erlebniswelt, in der Leistungsempfänger ohne Zahlungen an die Leistungserbringer Leistungen empfangen, sind die Krankenkassen. Im Rammelsberger Silberbergbau bei Goslar im Harz wird urkundlich am 28.12.1260 eine Bergbruderschaft erwähnt. Dies nehmen Bergleute als Datum, um auf die über 750-jährige Existenz der Knappschaft hinzuweisen. Die Knappen schlossen sich zusammen, um bei Krankheit und Alter abgesichert zu sein. In Preußen wurde dann 1854 die Mitgliedschaft in der Knappschaft gesetzlich vorgeschrieben. Darauf fußend führte Otto von Bismarck als Reichskanzler 1883 die gesetzliche Krankenversicherung ein, um den Einfluss der Sozialdemokratie zurückzudrängen. Seither ist es für ca. 90% der deutschen Bevölkerung im Gesundheitssystem so, dass

  • Leistungserbringer (wie Ärzte) an Leistungsempfänger (Patienten) Leistungen liefern,
  • bezogene Leistungen von freiberuflichen Ärzten oder z.B. von Krankenhäusern von den Krankenkassen bezahlt werden
  • Versicherte unabhängig von einem Leistungsempfang und dessen Umfang Beiträge an Krankenkassen in Abhängigkeit von ihrem Einkommen für sich und ihre Angehörigen zahlen.

Dieses Geschäftsmodell als „Kostenlos-Kultur“ zu verspotten, weil der Patient nicht direkt an den Arzt zahlt, was offenbar das einzige Geschäftsmodell ist, dass die Schreihälse bei unseren Freunden aus der Papiercommunity akzeptieren wollen,  ist nicht nur grober Blödsinn, sondern auch eine Verhöhnung konservativer Politik von Leuten wie Bismarck.

Radio Veronica – Piratensender auf hoher See

Piratensender Radio Veronica. Fotograf: C.H. van der Niet 1973. Lizensiert nach Creative Commons.

In den 1950er Jahren gründeten holländische Radiohändler Radio Veronica. Sie kauften ein altes Schiff, bauten es zu einem schwimmenden Radiosender um und begannen außerhalb der 3-Meilenzone Musik zu senden (damals hatten die Nationalstaaten erst 3 Meilen von der Landesgrenze das freie Meer kolonialisiert, seit 1982 haben sie mindestens 12 Meilen annektiert). Finanziert wurde das Angebot über Werbung. Für den Hörer auf dem Festland war es kostenlos. Als einer der ersten sendete Radio Veronica Lieder von die Beatles und den Rolling Stones. Die Anrainerstaaten bekämpfen diesen freien Rundfunksender im freien Weltmeer, aber die holländische Regierung duldete den Sender, der vor ihrer Küste lag, auch wegen heftiger Demonstrationen der Bürger. Es war einer der ersten Situationen, dass der Staat sich dann aber offen gegen die Bürger wendete, die freien Zugang zu Kultur haben wollten, als sich dann mehrere Staaten gegen freie Kultur zusammenrotteten und Radio Veronica zum 31.8.1974 schließen musste wegen holländischer Gesetze.

Radio Veronica ließ sich aber vom Staat nicht einschüchtern, eröffnete 1976 wieder legal, wechselte mehrfach den Eigentümer und sendet heute immer noch für die Hörer kostenlos. Auch im Internet. Werbetreibende dagegen müssen für ihr Werbeangebot zahlen und Musiker erhalten nach holländischen Gesetzen Vergütungen aus den Werbeerlösen (anders als bei uns die liebe Printgemeinde fordert, dass die Hörer direkt zahlen müssen).

Tonbandgeräte und Privatkopien

In den 1960ern Jahren kamen vermehrt Tonbandgeräte für Privatnutzer auf. Noch vor den Kassettenrecordern. Damals war es völlig legal, dass man Rundfunksendungen aufnahm, sich für seinen privaten Gebrauch Musik selbst zurechtschnitt und auch seinen Freunden Kopien davon gab (ohne Beschränkung). Nur die gewerbliche Nutzung ohne Genehmigung des Rechteinhabers war verboten.

Brigitte Zypries, SPD, verschärfte dann in den 2000ern auf Grund nicht öffentlich geführter Gespräche mit der Rechteindustrie (so wie die ACTA-Verhandlungen auch gegen den Bürger heimlich zwischen Lobbyisten und Staat geführt wurden) das Urheberrecht und schränkte das Recht auf Privatkopien ein, Bildungsmöglichkeiten wurden gestutzt und das Recht schwammig gegen die Bürger ausgerichtet. Heute verwillküren Richter den Begriff „gewerbliches Ausmaß“ dahingehend, dass Zahlungsflüsse für ein gewerbliches Ausmaß nicht notwendig sind (wohl aber weiterhin bei der Gewerbesteuer), sondern bei einer beliebigen Anzahl von privaten Weitergaben, gleich hart das Urheberecht genutzt wird, um hundertausende von Bürgern zu kriminalisieren.

Das Privatfernsehen: Helmut Kohl und Franz-Josef Strauss

In den 1980er Jahren wurde in Deutschland der Weg für das Privatfernsehen geebnet. Neben das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das sich damals aus Flatrates für Benutzer und heute durch nutzungsunabhängige Haushaltsabgaben finanzierte, trat ein privates Fernsehen mit einem anderen Geschäftsmodell hinzu: die Zuschauer zahlten nichts und die Sender finanzieren sich über Werbung.

Das Bundesverfassungsgericht machte mit seinem 3. Rundfunk-Urteil den Weg zur Sicherung der Rundfunkfreiheit bzw. auch der Meinungsvielfalt auf. Besonders die konservativen in Deutschland Politik machten sich für dieses Geschäftsmodell stark. Helmut Kohl trieb das Kabelprojekt Ludwigshafen voran, 1984 gründete sich ein SAT1-Vorläufer in Mainz und 1985 ging dann auch RTL (Radio Tele Luxemburg, heute Köln) an den Start. Im Süden war von der CSU zu vernehmen:

„1988 erklärte Edmund Stoiber schriftlich gegenüber Franz Josef Strauß „unsere Politik bezüglich RTL-plus war immer darauf ausgerichtet, eine Anbindung von RTL an das konservative Lager zu sichern beziehungsweise ein Abgleiten nach links zu verhindern““.

Dieses Geschäftsmodell von RTL und SAT1, den Zuschauer die Sendungen kostenlos sehen zu lassen, den Betrieb durch Werbung zu finanzieren ist noch heute im Privatfernsehen wie auch bei Google, Facebook und anderen im Internet überaus erfolgreich. So hat zum Beispiel SAT1 die Verfilmung des auch als Buch überaus erfolgreichen Romans „Die Säulen der Erde“ (in dem es unter anderem um den Bau gotischer Kathedralen im Mittelalter geht) von Ken Follet produziert und kostenlos gesendet. Anders als die Apologeten der Printgemeinde beschwören,  war die Produktion trotz kostenloser Ausstrahlung auch für die teilnehmenden Künstler wirtschaftlich erfolgreich. Darüber hinaus wurde neben der kostenlosen Ausstrahlung auch eine Zweitverwertung über DVD-Vertrieb durchgeführt.

Neben der Verbreitung kommerzieller Unwahrheiten muss man den Freunden aus der Printcommunity auch ankreiden, dass sie der konservativen Politik in Deutschland und der Wirtschaft in den Rücken fallen mit ihrer Forderung des Verbotes kostenloser Verbreitung künstlerischer Werke, weil angeblich Künstler dann verhungern würden. Ken Follet wird dagegen trotz der kostenlosen Ausstrahlung zitiert: „Für einen Autor ist es einfach umwerfend zu sehen, wie seine Figuren von guten Schauspielern zum Leben erweckt werden, in einer Kulisse die so liebevoll gestaltet wurde.“ (Das volle Interview mit Ken Follet ist im Internet. Kostenlos.)

Wer dieses Geschäftsmodell nicht möchte, kann auch gerne seinen Content verschlüsseln. Das wird beim Pay-TV, das sich neben den werbefinanzierten offenen Sendern erfolgreich seit den 1980ern Jahren auch in Deutschland etabliert hat, mit Decodern von Firmen wie Sky, Viacom oder Kabel Digital Media überall angewendet. Wer aber seinen Content unverschlüsselt in Umlauf bringt, weil er zu faul oder zu geizig ist, ein sicheres Verschlüsseln einzuführen, sollte nicht so dreist sein und die Kosten seines Geizes auf die Allgemeinheit abwälzen und den Staatsanwaltschaft die Mondpreise einsammeln, statt sich auf eigene Kosten ein ordentliches Digital-Rights-Management anzuschaffen.

Internetsoftware

Bis tief in die 1990er hinein bastelten große amerikanische Firmen an patentgeschützter Netzwerksoftware, wobei Patente an sich nach neuerer tagesaktueller Meinung der Printgemeinde  quasi automatisch Wohlstand, Wachstum und Wonne erzeugen. So bastelte IBM an SNA (Systems Network Architecture – auf Mainframe-Terminal-Netzwerke optimiert), die heute verschwundene Digital Equipment Corporation (DEC) hatte DECnet (auf VAXen optimiert), Novell entwickelte Novell Netware (auf LANs optimiert) und Microsoft hatte den LANmanager (auf Microsoft optimiert). Es war eine herrliche Zeit für Systemingenieure: prächtig konnte der verdienen, der möglichst viele Protokolle auf demselben Netzwerk verstand. Nur untereinander konnten die prachtvollen, patentgeschützten Welten, abgeschottet wie in Trutzburgen,  nicht.

Doch glücklicherweise hatte die US-Regierung (auch als Kunde all dieser zauberhaften Kunstwerke kreativer Schöpfer) die Firma Bolt, Beranek, Newman (BBN), eine Ausgründung vom MIT, mit der Schaffung des militärischen ARPAnets beauftragt. Die Protokolle, die dort verwendet wurden, kennen wir heute als TCP/IP.

Nun bekennen sich die US-Amerikaner stark zur Public Domain (einer Art Gemeinfreiheit). Für den Amerikaner ist es völlig selbstverständlich, dass Forschungsergebnisse, die von Steuern finanziert werden, natürlich auch in die Public Domain kommen, wobei sie diese Tradition auch im Römischen Recht haben wurzeln lassen. Und es geschah das für die Printcommunity ungeheuerliche: die US-Amerikaner verhielten sich linientreu zu ihren Gesetze und Gewohnheiten und stellten den gesamten TCP/IP-Code in die Public Domain. Jeder auf der Welt darf in nutzen, ohne Lizenzgebühren bezahlen zu müssen. Die Kreativen von BBN nagten natürlich nicht am Hungertuch, wie es unsere Freunde in der Printcommunity ständig wie Mephistos an die Wand malen, als hätte das Leben nach Auerbachs Keller aufgehört zu existieren.

NCSA-Mosaic 1994. Eigener Screenshot.

Die Industrie (in den USA) nutzte dieses Geschenk reichlich. In den 1980er Jahren erhielten dann alle technische-wissenschaftlichen Workstations (insbesondere wenn sie auf BSD-Unix fußten) den TCP/IP-Code, mit dem viele dann auch ans Internet kamen (ich selbst dann 1988). Danach folgten die anderen Maschinen und plötzlich konnten alle trotz der schönen und teuren Patente miteinander reden. Man konnte Dateien austauschen (FTP) oder per  Mail (SMTP) kommunizieren.

Auf den bahnbrechenden Arbeiten zum Worldwide Web am CERN durch Tim Berners-Lee fußend baute dann Marc Andreessen, Gründer von Netscape, am NCSA (National Center for Supercomputer Applications) den grafikfähigen Browser NCSA Mosaic und gab ihn in die Public Domain. Noch heute basieren die Browser von Apple (Safari) und Microsoft (Internet Explorer) auf dieser „Kostenlos“-Software, wie man sich leicht durch Blick in die Copyright-Seiten bzw. About-Seiten überzeugen kann.

Margaret Thatcher und das Abschneiden alter Zöpfe

Wir haben nun gesehen, dass es seit über 2.500 Jahren tragfähige und für Künstler ertragreiche Geschäftsmodelle gibt, die auf direkte Zahlungsströme zwischen Leistungsempfänger und Leistungsübermittler verzichten können. Die Abschaffung all dieser Geschäftsmodelle, die unsere Freunde aus der Printgemeinde fordern, um sie durch ein polizeistaatliches Direktfinanzierungsmodell zu ersetzen, ist ein erheblicher Umbau unserer demokratischen Gesellschaft mit marktwirtschaftlicher Ordnung.  Bisher sind aber keine Gründe genannt worden, warum wir unsere bewährten Geschäftsmodelle abschaffen sollen. Nicht mal ein empirischer Beleg ist geliefert worden.

Wir hören von der Printcommunity, die sich seit 25 Jahren weigert, ein dem Internet angemessenes Geschäftsmodell zu entwickeln, keine vernünftigen Diskussionen. Derzeit sind sie so halsstarrig wie die Gewerkschaften in England, die es tatsächlich durchsetzten, dass Heizer von Dampflokomotiven völlig überflüssigerweise und bezahlt auf E-Loks mitfuhren. Wenn die Diskussion weiterhin so unsachlich von der Printgemeinde geführt wird, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass ein tougher konservativer Politiker wie Margaret Thatcher diesem Unsinn (wie damals mit den Heizern) auf E-Loks ein schnelles Ende setzen wird, siehe Wikipedia:

„In der Wirtschaft wurden daraufhin einige von den Gewerkschaften zuvor blockierte technische Neuerungen nachgeholt. So konnten beispielsweise Ende der 1980er die britischen Zeitungsverlage vom Bleisatz auf den in anderen Ländern schon seit langem üblichen Fotosatz umstellen, was die Gewerkschaften bis dahin verhindert hatten. Auch fuhren keine Heizer mehr auf den Elektroloks mit, was die Gewerkschaften in den 1950er Jahren beim langsamen Aussterben der Dampflokomotive durchgesetzt hatten“.

Moderne Finanzierungsmöglichkeiten für Künstler

Der Fragenkomplex, der unsere Diskussionen beschäftigen sollten, ist zweifelsohne, wie wir unsere Künstler so angemessen vergüten können, dass wir weiter zu den führenden Nationen in der Kunst gehören. Dafür müssen wir aber die Fragen der Künstler von denen trennen, die eine überholte Technik oder überholte Geschäftsmodelle einfrieren lassen wollen, statt am Fortschritt mitzuarbeiten.

Es mehren sich die Zeichen, dass der Markt für Künstler gespalten ist in mindestens drei Teile:

  • Es gibt Spitzenkreative, die gutes Geld abschleppen, z.B. hat sich J. K. Rawling mitten im Internetzeitalter ein Vermögen von 1 Milliarde US-Dollar mit ihrer Harry-Potter-Serie erwirtschaftet, in dem sie nicht nur wütend wie Rumpelstilzchen darauf bestand, Konsumenten müssten im Internet irgendwas bezahlen, sondern Bücher, Filme, Hörbücher und DVDs herausbrachte, mit der man vor dem Internetzeitalter, aber auch mitten drin, eine Menge Geld verdienen kann. In der Frankfurter Rundschau heißt es dazu: „Das bestehende Urheberrecht trägt nur dazu bei, dass erfolgreiche Künstler und die Funktionäre immer reicher werden“.
  • Es gibt Nichtkreative, die mit Kreativen eine Menge Geld verdienen. Man kann in den aktuellen Prozessen gegen den ehemaligen Vorstandschef der Bertelsmann AG ahnen, welche Einkünfte auf dem Rücken der Kreativen mit Content erzielt werden können, auch wenn sich nachher herausstellte, dass nach der Trunkenheit in der New Economy der Konzern viel Substanz verloren hat oder Karstadt dann ganz pleite ging, wobei Thomas Middelhoff aber noch an der Vermietung der Kaufhäuser partizipieren wollte. Von diesem Typus Funktionäre gibt es viele im kulturindustriellen Komplex.
  • Am unteren Ende der Nahrungskette sitzen die normalen Künstler. Deren Einkünfte sind so prekär, dass der Steuerzahler schon seit langem ihre Krankenversicherung und Rentenversicherung subventioniert, in dem die Steuerzahler die Arbeitgeberbeiträge übernehmen, wenn sich die Künstler in der Künstlersozialkasse versichern. Das Durchschnittseinkommen aller dort versicherten,  selbständigen Künstler (ca. 170.000 Personen in Deutschland) betrug für 2011 nur 15.451 €. In der Musik alleine sogar nur 12.863 € (also 1.000 €/Monat). An den Zahlen sieht man, dass die selbständigen Künstler in prekären Verhältnissen unterhalb von Hartz4-Bezügen leben (oder zumindest es ihrer Sozialkasse so angeben).

Wenn die Zahlen stimmen, besteht hier echter Handlungsbedarf bei den prekären Künstlern. Dazu müssen wir über den Mix von Einkünften für Künstler neu nachdenken. Als Einkunftsquellen stehen mindestens zur Debatte

  • Live-Auftritte (Konzerthäuser, Opern, Festivals, usw.)
  • GEMA (für Komponisten und darbietende Künstler; ca. 850 Mio €)
  • VGWort (für die schreibende Zunft auch im Internet derzeit zwischen 150 und 400 Mio €/a)
  • GEZ (die nun nutzungsunabhängigen steuerähnlichen Abgaben betragen rund 7,5 Mrd. €/a)
  • Kulturflatrate (wird häufig von den Piraten genannt, es fehlen noch konkrete Vorschläge)
  • Bücher und Zeitschriften (das Geschäft läuft nach wie vor: Bertelsmann macht ca. 15 Mrd € Jahresumsatz, die Axel Springer AG ca. 2,9 Mrd. €, Holtzbrinck 2,2 Mrd. €)
  • CDs und DVDs.

Für einen rationalen Diskurs gehören noch mehr Zahlen auf den Tisch, um Fragen zu beantworten. Vergüten Konzerne ihre Künstler angemessen oder nur ihre Funktionäre? Ist die Kunst ein so schlechtes Geschäft, dass wir Künstler weiter über Steuern subventionieren müssen (KSK)? Gibt es funktionierende Geschäftsmodelle im Internet (Apple und iTunes)? Welchen Anteil bekommen die Künstler von den Abmahnungen oder teilen sich nur Rechtsanwälte und Funktionäre die Beute? Dürfen Verlage weiterhin prekäre Existenzen züchten, wie sie die Künstlersozialkasse ausweist? Muss Überschäumen (J.K. Rawling)  gedeckelt werden (das kennt jeder Vertriebler mit guten Verkaufserfolgen in einem boomenden Sektor)? Welche direkten und indirekten Geschäftsmodelle sollen dann dieses ermöglichen mit möglichst viel Markt und möglichst wenig Polizeistaat?

Schön wäre auch, wenn der antiamerikanische und wirtschaftsfeindliche Ton der Printcommunity gegen die Konservativen etwas gemäßigter würde und auf Rufe nach mehr Staat verstummten. Unsere Werte wie Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft wollen wir wie in den USA nicht einschränken, nur weil keine Splittergruppen kein tragfähiges Geschäftsmodell finden wollen.

Wir werden noch einige spannende Diskussionen haben. Nur der Gag, dass es irgendwas kostenlos gäbe, wird sich nicht mehr lange halten:

„Umsonst ist nur der Tod, und der kostet das Leben.“

Ende.

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10 Antworten auf Wo kommt die „Kostenlos-Kultur“ her?

  1. Glamypunk sagt:

    Es gibt schon Modelle für eine Kulturflatrate, zum Beispiel die Kulturwertmarke das CCC. Die Piraten lehnen mit überwältigender Mehrheit jede Flatrate ab, da sie eben alles umsonst haben wollen.

    Genannt wird die Kulturflatrate viel eher von Leuten, die sich mal wirklich mit dem Thema beschäftigt haben.

  2. Flo Diehl sagt:

    Hi,

    wo is der flattr-Button für den Artikel???? 😉

    vielen Dank, sehr schön und ausführlich beschrieben.
    Den Schlusssatz würde ich trotzdem nicht so stehen lassen; in den USA läuft sehr viel mehr schief als wir hier überhaupt mitkriegen; allein die SuperPACs sind eine Sache die sich ein „demokratischer“ Staat, wie sich die Dronenkämpfer ja selbst nennen, eigentlich nicht leisten kann…

  3. Mapcoder sagt:

    @Glamypunk: Die Kulturflatrate wird genannt von Leuten, die in Wirklichkeit gar nicht an alternative Geschäftsmodelle glauben, sondern deren Ideen nicht weiter reichen als zu „Bezahlen pro Kopie“ oder „Zwangsabgabe“. Und wenn man, so deren Logik, einen kostenlosen Zugang zu Kopien schafft, dann bleibt die Zwangsabgabe als einzige Alternative.

    Wenn Piraten hingegen davon reden, dass das Internet zwar alte Modelle in Frage stellt, aber gleichzeitig neue Chancen bietet, dann ist das keine hohle Phrase – wir glauben wir das wirklich. Durch die Vernetzung werden bestimmte Geschäftsmodelle erst möglich, andere altbekannte Modelle profitieren durch die mögliche Reichweite. Die Beispiele sollte jeder schon gehört haben, der sich mit dem Thema beschäftigt hat: Crowdfunding wie bei Kickstarter, Verlagerung auf Dienstleistungen (Auftragsarbeiten, Live-Auftritte, …), Flatrate-Modelle mit freiwilliger Teilnahme, werbefinanzierte Inhalte, service-basierte Modelle (Streaming-Server für Musik und Filme, Software-as-a-Service, MMOs), Social Payment und andere spendenfinanzierte Modelle …

    Von daher hast du recht, dass viele Piraten die Kulturflatrate eher als Notlösung denn als Idealziel sehen. Allerdings nicht, weil wir alles umsonst haben wollen, sondern weil wir optimistisch sind, dass die Alternativen funktionieren.

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  5. Sonja sagt:

    Eine kleine Korrektur:

    Der Arbeitgeberanteil der Künstlersozialkasse wird zum größten Teil nicht vom Steuerzahler finanziert, sondern vom Verwerter, also von den Auftraggebern, die künstlerische Leistungen eingekauft oder beauftragt haben.

    Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCnstlersozialkasse:

    Die andere Beitragshälfte tragen die „Verwerter“ von künstlerischen Leistungen in Form der pauschal umgelegten „Künstlersozialabgabe“, welche im Jahr 2009 4,4 % (2006: 5,5 %; 2007: 5,1 %; 2008: 4,9 %) aller Honorarzahlungen an einen selbständigen Künstler oder Publizisten betragen hat, sowie der Bund über einen Zuschuss. Für das Jahr 2012 beträgt der Satz 3,9 %.[3].

  6. woksoll sagt:

    Hallo Sonja,
    Sie haben Recht. Hier die Zahlen, die die Künstlersozialkasse veröffentlicht:
    Die Finanzierung des Versicherungsbeitrages gliedert sich auf wir folgt
    – 50% zahlt der Versicherte
    – 30% kommen aus der Künstlersozialabgabe (Verwerter usw.)
    – 20 % zahlt der Bund
    http://www.kuenstlersozialkasse.de/wDeutsch/ksk_in_zahlen/finanzierung.php?navanchor=1010004

    Das ist eine einzigartige öffentliche Bezuschussung der Sozialversicherung von Selbständigen. Andere Selbständige tragen ihre Sozialversicherungskosten zu 100%. Das hängt wohl mit der prekären Bezahlung der künstler durch die Verwerter zusammen. Bei durchschnittlich 15.000 € Gewinn, den die Künstler der KSK melden (wenn sie keine Musiker mit 12.000 € sind), frage ich mich dann doch schon, ob ökonomisch je nach Familiensituation es für die Künstler sinnvoller wäre auf die kümmerliche Vergütung der Verwerter zu verzichten und auf Hartz4 zu gehen.

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  9. gold price sagt:

    Ich finde es auch schade, dass heute den guten alten Italo-Disco Hits keine Beachtung geschenkt wird. Wenn man heute von 80er Sound redet, dann denkt man heute wirklich nur noch an New Wave (Depeche Mode, U2, Yazoo, Simple Minds, usw.), was ich zwar auch gut finde. Italo Disco oder andere Dance Music aus dieser Zeit ist offensichtlich nicht mehr gefragt. Daher frage ich mich auch schon lange, gibt es überhaupt noch Leute, welche Italo Disco hören. Bei den Reviews habe ich da schon einige Members ausfindig machen können. Was mich auch nervt, wenn sie die musikalischen Qualitäten der Italo Disco Songs negativ beurteilen. Klar es gibt da auch viele billige Produktionen, aber viele Titel sind musikalisch sicher hochstehender als Depeche Mode oder andere New Wave Produktionen. Besonders Titel von Savage oder den Nicolosi Geschwister.

  10. Pingback: Was passiert diese Woche? | Funkkolleg 2012/2013

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